unser-quartier.de – Offene Plattformen als Instrument der Quartiersentwicklung und Engagementfeld für ältere Menschen

Seit Ende 2012 richtet das Forum Seniorenarbeit Workshops aus, mit dem Ziel ältere Ehrenamtliche zu befähigen, eigenständig auf Basis einer modernen Technologie als Botschafterin bzw. Botschafter für Ihr Engagement und Ihr Quartier tätig zu werden.  Seit 2016 wurde das Konzept um haupt- ehrenamtliche Tandems erweitert, so dass neue Engagementfelder auch in neuen Rollenbildern und Formen der Zusammenarbeit ausprobiert wurden. Der folgende Beitrag beschreibt die Entwicklung und Schlussfolgerungen.

Im April 2016 erschienenen Deutschen Freiwilligen Survey 2014 bekommt die Internetnutzung im freiwilligen Engagement einen eigenen Gliederungspunkt auf Seite 320 unter 11.5:

„Internetnutzung stellt in der Regel also eine Erweiterung der freiwilligen Tätigkeit dar, ersetzt andere Tätigkeitsformen aber nur im Ausnahmefall. Online-Volunteering, im Sinne einer ausschließlich oder überwiegend über das Internet ausgeübten Tätigkeit, ist insofern als Phänomen zwar feststellbar, jedoch (noch) keine weit verbreitete Form des Engagements.“

Grade die oben beschriebene Erweiterung der freiwilligen Tätigkeit macht das neue Engagementfeld „Internet“ sehr spannend. Insbesondere ältere Menschen sind die Botschafterinnen und Botschafter ihrer Interessen sowie Expertinnen und Experten für das eigene Quartier. Digitales Engagement ermöglicht neue Kontakte und kreative Einsatzgebiete. Das Internet ist von seiner Anlage her generationenübergreifend und ermöglicht zufällige Begegnungen.

Im Rahmen des Teilprojekts „Engagement älterer Menschen in der digitalen Gesellschaft“ unterstützt das Forum Seniorenarbeit / Kuratorium Deutsche Altershilfe mit Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen seit April 2016 in einer Workshopreihe Quartiersentwicklerinnen und Quartiersentwickler in NRW beim Aufbau virtueller Quartiersplattformen.

Netzwerktreffen DigiBE in Duisburg, Dezember 2017
Netzwerktreffen DigiBE in Duisburg, Dezember 2017

Ziel des Projekts ist es, das bunte Leben und die Angebote sowie Möglichkeiten in einem Quartier auch in einer virtuellen Umgebung abzubilden und themenbezogene Interaktion zu ermöglichen. Im Kern geht es um den Aufbau einer ehrenamtlichen Redaktionsgruppe, die in Zusammenarbeit mit den hauptamtlichen Quartiersentwicklerinnen und Quartiersentwicklern nachhaltig ein Konzept erarbeitet und an einer technischen Plattform im Baukastenprinzip realisiert. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Quartiersentwicklung durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützt werden kann. Ein Baustein der Quartiersentwicklung ist die Herstellung von  Orientierung und Transparenz über die Aktivitäten und Mitwirkung (für alle) zu ermöglichen.

Weiteres Ziel und Anspruch des Projekts ist es, einen partizipativen Ansatz zu verfolgen, d.h. die Stimme älterer Menschen im Internet zu stärken und ihnen dabei behilflich zu sein, dieses Medium zur Interessenvertretung und Alltagsgestaltung in kleinräumlichen Bezügen zu nutzen.

Das soziale Miteinander und zufällige (generationenübergreifende) Kontakte sollen durch die Nutzung neuer Technologien gestärkt werden. Menschen werden zu „Macherinnen und Macher“ und nicht nur zu Konsumentinnen und Konsumenten.

Das Angebot richtet sich in erster Linie an solche Initiativen und Träger, die keine anderen Möglichkeiten der Realisierung eines angemessenen Quartiersportals haben oder diese neuen Formen des bürgerschaftlichen Engagements ausprobieren möchten.

Die Curriculumsentwicklung des Workshops und der Aufbau des Grundgerüsts der technischen Plattform wurden von einer Arbeitsgruppe aus Praktikerinnen und Praktikern/Quartiersentwicklerinnen und Quartiersentwicklern, Beraterinnen und Beratern des Landesbüro altengerechte Quartiere NRW, dem Ministerium für Gesundheit, Emanzipation und Pflege des Landes Nordrhein-Westfalen, Interessenvertreterinnen und Interessensvertretern sowie ehrenamtlich aktiven Online-Redakteurinnen und Redakteuren aus vergangenen Workshops begleitet.Diagramm, dass den Workshopablauf erläutert.

Die Technikauswahl

Zu Beginn der Diskussion um eine geeignete technologische Basis wurde diskutiert, ob es sinnvoll sei eine Eigenentwicklung anzustreben, auf ein vorhandenes System zurückzugreifen oder vorhandene Nachbarschaftsplattformen oder soziale Netzwerke wie Facebook einzusetzen. Es wurde jedoch relativ schnell deutlich, dass es ein offenes, kostengünstiges (also an den Ressourcen sozialer Organisationen orientiertes) System sein sollte.

Bei der weiteren Eingrenzung ging es dann darum, einen Mittelweg zwischen Bedienbarkeit, zeitgemäßen technischen Funktionen und Möglichkeiten der Individualisierung zu finden. Es musste davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der Teilnehmer/innen keine Vorerfahrung im Umgang mit einem Content-Management-System (CMS) mitbringt.

Die letzte Entscheidung fiel dann nach einem Auswahlprozess auf die Open-Source-Software WordPress. Die einzelnen Plattformen werden auf einer sogenannten Multisite bereitgestellt, so dass die Teilnehmenden sich nicht um die technische Wartung des Gesamtsystems kümmern müssen, gleichzeitig aber eine hohe Individualisierung möglich ist.

Das Kernsystem wurde dann um Komponenten (sogenannte Plugins) erweitert, die es ermöglichten die Anforderungen der Arbeitsgruppe zu realisieren. Insgesamt sollte darauf geachtet werden, dass alle teilnehmenden Quartiere jederzeit Zugriff auf Ihre individuellen Daten haben und ggf. auch zu einem späteren Zeitpunkt eine eigene Installation aufbauen können. Interessierten sollten die Grundzüge zum Nachbau einer entsprechenden Plattform ermöglicht werden. Die Investitionskosten sollten dabei möglichst gering gehalten werden.

Liste der eingesetzten Plugins: unser-quartier.de/wewg

Anforderungen der Arbeitsgruppe

Die Anforderungen der Arbeitsgruppe, die bezogen auf die technische Plattform genannt wurden, waren:

  • Responsives Design (ermöglicht die problemlose Nutzung auf mobilen Geräten),
  • Möglichst barrierearme Technik, um allen Menschen den Zugang zu den Inhalten zu ermöglichen,
  • Registrierungsmechanismen für Benutzende sollten vermieden werden,
  • Kommentarsystem für Inhalte und Ermöglichung von Interaktion,
  • Nachrichtenbereich, um über aktuelles aus dem Quartier berichten zu können,
  • Veranstaltungskalender mit selbst erweiterbarem Kategoriensystem,
  • Anbieterverzeichnis um die lokale Infrastruktur im Quartier abbilden zu können (inkl. Integration von Google-Maps),
  • einfaches Newsletter-System,
  • Erweiterbarkeit um technische Komponenten, wie Bildergalerien, Darstellung von Videos oder einem Diskussionsforum.
  • Einhaltung des deutschen Datenschutzes.

Es sollte ermöglicht werden die wichtigsten Merkmale eines Quartiers virtuell abzubilden: Nachrichten aus dem Quartier und Veranstaltungen und Akteure im und für das Quartier

Die zahlreichen weiteren technischen Werkzeuge dienen dazu die Inhalte zu visualisieren und zu (ver)teilen sowie Anpassungen an das eigene Design (CI) zu ermöglichen. Die Plattform sollte zukunftssicher mitwachsen und neue Technologien integriert werden können.

Die Plattformen sind keine technische Dienstleistung, die erworben werden kann. Dahinter liegt ein Konzept, dass

  • neue Formen bürgerschaftlichen Engagements integriert,
  • neue Formen des Zusammenarbeitens von Haupt- und Ehrenamtlichen entwickelt,
  • Kommunen-/Trägerinteressen und bürgerschaftlich Engagierte herausfordert,
  • Menschen ermöglicht, sich an der digitalen Gesellschaft für Ihr Quartier aktiv zu beteiligen,
  • die Perspektive, Interessen und Kompetenzen älterer Menschen besonders berücksichtigt und
  • digitales Lernen und die Nutzung neuer Medien erleben lässt.

Rolle der Quartiersentwickler/innen – Aufgabenteilung

Gleich zu Beginn wurde sehr deutlich, dass die hauptamtlichen Quartiersentwicklerinnen und Quartiersentwickler zwar ein großes Interesse am Aufbau einer entsprechenden Plattform haben, aber große Sorgen um die Realisierbarkeit in Bezug auf zeitliche Ressourcen hatten.

Bei der Rollenbeschreibung innerhalb des Redaktionsteams musste also geklärt werden, was die Aufgaben der hauptamtlichen sind und welche Tätigkeiten und Verantwortungsbereiche später unter besonderer Berücksichtigung der Motive der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übergeben werden können.

Hier wurde deutlich, dass die Quartiersentwicklerin und der Quartiersentwickler vor allem Projektinitiatorin und Projektinitiator sowie Begleiterin und Begleiter sein sollte. Zu Beginn sind sie für die Schaffung der Rahmenbedingungen, der Konzeptionierung, dem Aufbau und der Begleitung des Redaktionsteams verantwortlich. Sie sind Koordinatorin bzw. Koordinator, Bindeglied und Kommunikatorin bzw. Kommunikator zwischen dem Träger (Kommune/Organisation) und dem Redaktionsteam. Im weiteren Verlauf soll sie sich aus dem Alltagsgeschäft zurückziehen und sich auf die Kernaufgaben konzentrieren.

Einen Vorschlag für eine detaillierte Aufgabenverteilung zwischen Hauptamtlichen und dem Redaktionsteam hat die Arbeitsgruppe entwickelt:
unser-quartier.de/ziq4

Weitere Inhalte des Curriculums

Abschluss des Workshops in Haltern 2017

„Fast nichts von dem was im Internet so schön einfach ist, ist erlaubt“. Dieses Zitat eines Teilnehmenden aus einem vergangenen Workshop bringt es auf den Punkt. Beim Betrieb eines Internet-Angebotes gibt es eine Menge juristischer Stolpersteine, auf die Herausgeber und Redaktionen achten müssen. Innerhalb des Workshops wird dem Thema Online-Recht aus diesem Grunde ein eigener Block gewidmet und immer wieder zwischendurch angesprochen. Ziel ist es grundsätzlich für Fragen von Datenschutz, Urheber-, Nutzungs- und Verwertungsrechten zu sensibilisieren. Daneben werden kostenlose Quellen, wie zum Beispiel Bilder oder Videodienste und deren Lizenzbedingungen thematisiert.

Im Rahmen der Online-Zusammenarbeit zwischen den Präsenztagen wird „nebenbei“ erlernt, wie in einer Gruppe virtuell kommuniziert werden kann und wie eine mögliche Kommunikationsstruktur innerhalb der Redaktionsgruppe aussehen könnte.

Erfahrungen aus Sicht der Workshopleitung

Im November 2017 endete die vierte Workshopreihe und es liegen einige Erfahrungen vor. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass die kreativen Potentiale der älteren Menschen integriert werden. Die Teilnehmenden sind technikinteressiert und möchten sich zugleich für Ihr Quartier/ihren Stadtteil einsetzen.

Je mehr technische Vorerfahrungen ein/e Teilnehmende/r mitbringt, desto leichter gelingen der Einstieg und das selbständige Entdecken der Möglichkeiten. Auf eine Begleitung kann aus unserer Sicht aber nicht verzichtet werden, da viele der oben angesprochenen Inhalte einer Erklärung und Einführung bedürfen.

Die Technik ist sowohl im Bereich der Redaktion als auch der Administration unter Einführung erlernbar. Wichtig ist insbesondere zu Beginn Sicherheit und Orientierung im Umgang mit dem System zu bekommen und regelmäßig Übungen zu wiederholen. Die Tandemkonstellation (Empfehlung für den Workshop) bietet hier zusätzliche Austauschmöglichkeiten und gibt mehr Stabilität und Selbstvertrauen. Das Bewusstsein für die rechtlichen Probleme ist in der Regel vorhanden.

Alle Projekte kommen schrittweise voran, auch wenn die notwendige Ressource Zeit und die Komplexität unterschätzt wird. Dies betrifft insbesondere die Online-Phasen in denen aktiv weitergearbeitet wird. Das Curriculum ist aber flexibel genug um hier situativ reagieren zu können. Die Netzwerkteilnahme nach dem Workshop ermöglicht eine Weiterarbeit und Weiterentwicklung, so dass der Zeitdruck genommen werden kann.

Es scheint als reduziere sich die Thematik bei den Teilnehmenden zu Beginn auf „eine Website mit WordPress erstellen“. Erst im Laufe des Workshops entsteht die Einsicht, dass es um das Management einer Redaktionsgruppe und die Erprobung von haupt- und ehrenamtlicher Zusammenarbeit in einem neuen Engagementfeld geht.

Insgesamt ist die Technik robust und verträgt auch Experimente der Teilnehmenden im Umgang. Einige kleinere Probleme traten bei der Umgestaltung der Startseiten auf. Die Fehler wurden korrigiert und gingen in die Mustervorlage für die kommenden Workshops ein.

Anglizismen, nicht übersetzte Systemkomponenten und technische Worte stellen eine Hürde dar. Sie kann aber durch Erklärungen und Screenshots überwunden werden.

Aus Sicht der Teilnehmenden kann es zu Problemen kommen, wenn man/frau sich gerade zu Beginn in Details verfängt oder ziellos beginnt die Technik auszuprobieren.

Insgesamt gesehen entstehen lebendige Quartiersplattformen die mit Herz entwickelt und gepflegt werden. Die meisten Projekte beginnen inhaltlich mit dem Fokus auf die Lebenssituation älterer Menschen. Im Laufe der Zeit wird jedoch schnell deutlich, dass die Informationen allen Generationen zu Gute kommen können und die Technik auch in anderen Kontexten genutzt werden könnte.

Sind sie neugierig geworden?

Lassen sie sich von zahlreichen Beispielen der Netzwerker/innen inspirieren:

Quartier Röhlinghausen
Leben und Erleben vor Ort
unser-quartier.de/roehlinghausen

Lebensmitte lebenslang
Unser Riehl
unser-quartier.de/koeln-riehl

Gut leben im Hagelkreuz
altengerechte Quartiere NRW
unser-quartier.de/hagelkreuz

Weitere Projektbeispiele auf unser-quartier.de

Informationen zum Netzwerk „Engagement älterer Menschen in der digitalen Gesellschaft“:

Homepage des Projekts: unser-quartier.de 

Workshop-Ausschreibung: unser-quartier.de/netzwerk/ausschreibung

Häufige Fragen zur Plattform: unser-quartier.de/faqs

Nutzungsbedingungen: unser-quartier.de/nutzungsbedingungen

Präsentation des Konzepts Januar 2017: unser-quartier.de/7xne

Literatur:

Carls, Christian/Hoffmann, Daniel/Nicklaus, Ulrich. 2011: Nutzung von Online-Räumen in Gremien und Fortbildungen. Eine Arbeitshilfe aus der Praxis für die Praxis. KDA. Köln.
forum-seniorenarbeit.de/wp-content/uploads/2014/07/2011-05-Nutzung-von-Online-R%C3%A4umen.pdf

Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI). 2016. DIVSI Ü60-Studie. Die digitalen Lebenswelten der über 60-Jährigen in Deutschland. www.divsi.de/wp-content/uploads/2016/10/DIVSI-UE60-Studie.pdf

Fromm, Jens/Hinz, Ulrike/Wegener,Nora/Weber, Mike. 2014. Digitales Bürgerschaftliches Engagement. Kompetenzzentrum Öffentliche IT/Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS. Berlin.
www.oeffentliche-it.de/documents/10181/14412/Digitales+B%C3%BCrgerschaftliches+Engagement

Hoffmann, Daniel. 2017. Digitale Chancen nutzen. Aktuelle Entwicklungen und Trends in Bezug auf die Internetnutzung älterer Menschen. In Nun Reden Wir. Zeitschrift der Landesseniorenvertretung NRW. Ausgabe 98. 2017. unser-quartier.de/i9m4

Jähnert, Hanns/Dittrich, Lisa. 2011. Management von Online-Volunteers. Ein Handbuch. akademie für ehrenamtlichkeit deutschland. Berlin.

Kuratorium Deutsche Altershilfe (Hrsg.). 2014. Ran ans Netz. Das Internet in der Seniorenarbeit. Im Fokus, Heft 5/2014. KDA. Köln.
forum-seniorenarbeit.de/wp-content/uploads/2014/07/ImFokus_Nr5_17Juli.pdf

Simonson, J./Vogel, C./Tesch-Römer, C. (Hrsg.). 2017. Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Springer VS
https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-12644-5.pdf

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