Viele Kommunen ohne politische Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen
Mit einer umfangreichen Recherche hat die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Selbsthilfe NRW den aktuellen Stand der kommunalpolitischen Interessenvertretung von und für Menschen mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen ermittelt.
Das Resultat: Auch 16 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es deutliche Lücken im Bereich der politischen Teilhabemöglichkeiten. Das betrifft vor allem viele kleinere Städte und Gemeinden, während größere Städte gut ausgebaute Strukturen mit Behindertenbeauftragten und/oder Inklusionsbeiräten vorweisen. Insgesamt fehlen diese in 41 Prozent der NRW-Kommunen, wie die weiter unten aufgeschlüsselten Daten belegen.
Relevant für die Erhebung waren ausschließlich Interessenvertretungen, die verbindlich eine behindertenpolitische Arbeit innerhalb der Kommunal- und Kreispolitik leisten oder diese aktiv unterstützen. Aus Sicht der LAG Selbsthilfe NRW trifft das aktuell zum einen auf kommunale Behindertenbeauftragte sowie Behinderten- und Inklusionsbeiräte zu.
„Ohne solche Vertretungen werden die Interessen von Menschen mit Behinderungen systematisch nicht berücksichtigt“, sagt Geschäftsführerin Melanie Ahlke und führt dazu aus:
„Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger müssen sich selbst um ihre Belange kümmern, haben keine feste Anlaufstelle und kaum Möglichkeiten, das Leben vor Ort aktiv mitzugestalten.“ Bislang verfügen jedoch nur knapp 44 Prozent der NRW-Kommunen über eine*n Behindertenbeauftragte*n und in nur 25 Prozent der Gemeinden, Städte und Kreise gibt es Behindertenbeiräte; 9,6 Prozent haben beides.
Hauptamtliche Beauftragte dominieren in größeren Kommunen
Die meisten Behindertenbeauftragten sind hauptamtlich tätig – insbesondere in Kreisen, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städten. In kleineren kreisangehörigen Städten und Gemeinden ist ihr Anteil hingegen deutlich geringer: Hier kommen häufiger ehrenamtliche oder gemischte Lösungen zum Einsatz.
Warum gibt es diese Unterschiede?
Ob Menschen mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen politisch mitbestimmen können, hängt somit nach wie vor stark von ihrem Wohnort ab. Während einige Kommunen über gut ausgebaute Interessenvertretungen verfügen, fehlen sie in anderen vollständig. Das führt zu ungleichen Beteiligungsmöglichkeiten. Ein zentraler Faktor für das Vorhandensein von Interessenvertretungen ist dabei die Größe der Kommune – aber nicht nur. Ob es Behindertenbeauftragte oder Beiräte gibt, hängt in der Praxis von verschiedenen Faktoren ab: Den lokalen Prioritäten, dem politischen Willen, den verfügbaren Ressourcen und dem Engagement von Selbsthilfegruppen sowie Einzelpersonen.
38 Prozent der kreisangehörigen Gemeinden und Städte in NRW haben trotz knapper Mittel eine Form der Interessenvertretung eingerichtet, das zeigt: Eine aktive Beteiligungskultur ist nicht zwingend an finanzielle oder personelle Ressourcen gebunden. In einigen Fällen existieren sogar sowohl Beauftragte als auch Beiräte. „Diese Kommunen beweisen: Gelebte Inklusion ist auch in kleineren Gemeinden möglich – wenn der politische Wille vorhanden ist und bestehende Potenziale genutzt werden“, so Melanie Ahlke.
Handlungsbedarf: Politische Teilhabe darf keine Frage des Wohnorts sein
Politische Teilhabe darf nicht vom Zufall abhängen. Alle Städte und Gemeinden sollten eine verbindliche Form der Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen bieten. Damit das gelingt, braucht es gezielte und praxisnahe Unterstützungsangebote für Kommunen, die Interessenvertretungen einrichten wollen. Das gilt insbesondere für kleinere Kommunen. Dazu gehören unter anderem Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für Verwaltung und Politik, Beratungsangebote und Prozessbegleitungen, moderierte Austausch- und Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Kreisen, Städten und Gemeinden, Hilfestellungen beim Verfassen entsprechender Satzungen sowie Best-Practice-Beispiele zur erfolgreichen Einrichtung von Interessenvertretungen. Zudem sollten Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit, die Ressourcen bündeln, erprobt und gefördert werden.
Interaktive NRW-Karte erleichtert Einstieg und gibt Orientierung
Die Recherche erfolgte durch das LAG-Projekt „In Zukunft inklusiv.“ im Rahmen der Entwicklung einer interaktiven NRW-Karte, für die alle Kreise und Kommunen in NRW telefonisch und schriftlich kontaktiert wurden. Das Service-Angebot unter www.politik-fuer-alle.nrw bietet Interessierten, die behindertenpolitisch aktiv werden wollen, eine einfache Möglichkeit, mit nur wenigen Klicks die zuständigen Anlaufstellen für den eigenen Wohnort zu finden. Damit ist die erste Hürde hin zu einem kommunalpolitischen Engagement genommen.
Das Projekt „In Zukunft inklusiv.“ wird gefördert durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen.