Adventsspecial 3: Erfahrungen aus der Praxis zum Thema Einsamkeit

Ältere Menschen, Einsamkeit und Digitalisierung?! Ergebnisse des Netzwerktages

Wie bereits an vielen Stellen, u.a. im Achten Altersbericht, dargestellt, kann Digitalisierung Chancen und Mehrwerte für das alltägliche Leben älterer Menschen bereithalten. Welche digitalen Anwendungen im Einzelfall einen konkreten Nutzen für die Personen bedeuten, hängt von individuellen Präferenzen und Bedarfen ab. Häufig wird ein Vorteil der Digitalisierung im Bereich der Information und Kommunikation gesehen. Es besteht die Möglichkeit über eine große Distanz hinweg miteinander zu kommunizieren oder auch über kurze Wege, wenn beispielsweise Beeinträchtigungen im Bereich der Mobilität den analogen Besuch erschweren.

Zwingende Voraussetzung, um überhaupt digital teilhaben zu können, sind entsprechende Kompetenzen und Ressourcen. Mit Blick auf die Zielgruppe älterer Menschen müssen die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse in einem ersten Schritt vermittelt werden. Hierzu gibt es bereits eine Vielzahl an Lernorten und Angebote im Bereich der Senior:innenarbeit, die das Hauptaugenmerk auf die Gruppe der Älteren legen. Um Menschen zur Teilhabe an solchen Formaten, bzw. zur Teilhabe im digitalen Raum motivieren zu können, müssen die individuellen Mehrwerte und Nutzen sichtbar und zugänglich gemacht werden. Die intrinsische Motivation der Menschen, also die Motivation von innen heraus, ist entscheidend, ob eine Person die neue Fähigkeit erlernen bzw. sich mit bis dato unbekannten Themen auseinandersetzen möchte.

Aber wie sieht es aus, wenn wir eine besondere Zielgruppe in den Blick nehmen, nämlich die älteren Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind bzw. einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, sich einsam zu fühlen? Wie können wir es innerhalb der Senior:innenarbeit schaffen, die bestehenden Angebote und Unterstützungsmöglichkeiten zugänglich zu machen und an die von Einsamkeit bedrohten bzw. einsamen älteren Menschen heranzutragen?

Fakten zu Einsamkeit

Zu Beginn ist es zielführend, sich mit einigen Fakten rund um das Thema Einsamkeit auseinanderzusetzen.

Wie schädlich ist Einsamkeit?

Wie der Landtag Nordrhein-Westfalen im Bericht zur Einsamkeit (Bekämpfung sozialer Isolation in Nordrhein-Westfalen und der daraus resultierenden physhischen und pschischen Folgen auf die Gesundheit) festhält, hat Einsamkeit gravierende Folgen für die betroffenen Personen:

„Man kann annehmen, dass Einsamkeit genauso schädlich ist wie der Konsum von 15 Zigaretten am Tag, genau so viel schadet, wie Alkoholmissbrauch und doppelt so schädlich ist wie Übergewicht (Holt-Lunstad et el. 2010)“.

Einsamkeit ist nicht gleichzusetzen mit sozialer Isolation

Einsamkeit ist ein subjektiver Zustand und entsteht aus einem Defizit in den sozialen Beziehungen. Er wird als unangenehm empfunden. Soziale Isolation ist ein objektiver Mangel an sozialen Kontakten und Beziehungen. Er muss nicht zwangsläufig als negativ empfunden werden (Quelle: Luhmann, 2022).

Formen von Einsamkeit

Es gibt unterschiedliche Formen der Einsamkeit (Quellen: Luhmann, 2022 / Bücker, 2022):

  • Emotionale Einsamkeit
  • Soziale Einsamkeit
  • Kollektive Einsamkeit
  • Physische Einsamkeit
  • Kulturelle Einsamkeit

Zusätzlich wird nach Dauer und Intensität unterschieden.

Alter als Risikofaktor?

Hochaltrige und Frauen sind besonders bedroht, jedoch ist ein hohes Alter per se kein Risikofaktor. Der Zusammenhang mit Faktoren wie Krankheit, geringem Einkommen und (sozialen) Umweltbedingungen spielt eine entscheidende Rolle (Quelle Luhmann 2022).

Folgen von Einsamkeittrauriger smiley

  • Gesundheitliche Folgen
    • Psychische Gesundheit (z.B. Risiko an Demenz zu erkrankten um 40% erhöht)
    • Körperliche Gesundheit
  • Psychologische Folgen
    • Beeinflussung des Verhaltens (Rückzugstendenzen / Motivation)
  • Gesellschaftliche Folgen
    • Teilhabe
    • Engagement / prosoziales Verhalten
    • Stigmatisierung
    • Kosten

(Zusammengefasste Informationen: Bücker 2022)

Angebote und Maßnahmen gegen EinsamkeitBild Comic Heldin

Es gibt bereits eine Vielzahl an Angeboten, die insbesondere von Einsamkeit bedrohte und betroffene Menschen in den Blick nehmen. Dazu zählen beispielsweise

  • Silbernetz:  Silbernetz ermöglicht anonyme Kontaktaufnahme, den Wiederaufbau persönlicher Verbindungen und hilft dabei, passende Angebote im Umfeld zu finden.
  • Miteinander – Füreinander: Kontakt und Gemeinschaft im Alter (Malteser): Im Rahmen des vom BMFSFJ geförderten Projekts werden Kontakt und Gemeinschaft im Alter in ganz Deutschland gefördert.
  • Angebotskarte #gegen Einsamkeit (Kompetenznetz Einsamkeit): Auf dieser Karte werden Angebote in ganz Deutschland abebildet. Eigene Angebote können dort ebenfalls eingetragen werden.

Die Inhalte von Angeboten unterscheiden sich und bilden eine große Vielfalt ab. Bei einer Befragung von 256 Anbietern und Trägern zu den von ihnen durchgeführten Maßnahmen zur Vorbeugung und Linderung von Einsamkeit in Deutschland wurde ein breites Spektrum an Maßnahmen mit unterschiedlichen Zielsetzungen benannt (Quelle: Gibson-Kunze & Arriagada, 2023). Der Schwerpunkt lag bei Beratung und niederschwelligen Angeboten vor Ort.

Diskussionsergebnisse

Im Rahmen unseres gemeinsamen Netzwerktages haben wir haupt- und ehrenamtlichen Expert:innen aus der Praxis der Senior:innenarbeit den Raum gegeben, ihre Erfahrungen, Fragestellungen und Ideen zu drei Themenkomplexen auszutauschen und zu diskutieren:

  • Digitalisierung und Einsamkeit – Mehrwerte und Chancen
  • Strukturen im Sozialraum – Zugänge, Türöffner und Schlüsselpersonen
  • Das eigene Alter(n) – Wünsch dir was!

Digitalisierung und Einsamkeit – Mehrwerte und Chancen

In Anlehnung an die im Achten Altersbericht identifizierten Lebensbereiche wurden deutliche Mehrwerte der Digitalisierung für von Einsamkeit bedrohten und betroffenen älteren Menschen identifiziert.

  • WohnenDie Grafik zeigt zwei Menschen, die per Telefon miteinander schreiben
  • Mobilität
  • Gesundheit
  • Pflege
  • Soziale Integration
  • Sozialraum

Deutlich wurde zugleich aber auch, dass Digitalisierung Einsamkeit verstärken kann, wenn keine Zugangsmöglichkeiten in die digitale Welt bestehen. Dies bedeutet, dass es zwingend notwendig ist, Angebote und Räume zum Kompetenzerwerb zu schaffen sowie über die notwendige Hard- und Software zu verfügen. Digitale Räume können eine Ergänzung zur analogen Welt darstellen. Hauptsächlich dann, wenn die Teilhabe an analogen Möglichkeiten aufgrund bestimmter Beeinträchtigungen erschwert bzw. nicht möglich ist. Digitale Anwendungen und Techniken können eine Erleichterung im Alltag bedeuten, speziell in den Bereichen Autonomie und Selbstständigkeit, beispielsweise im Smart Home Bereich. Ergänzend ist ein Zugang zu digitalen/analogen Informationen sowie Dienst- und Hilfeleistungen, u.a. im Sozialraum, möglich. Die digitale Welt gestattet eine den eigenen Interessen entsprechende Information und Kommunikation (mit Gleichgesinnten, z.B. bestimmte Hobbies).

Strukturen im Sozialraum – Zugänge, Türöffner und SchlüsselpersonenPerson im Park

Im zweiten Raum lag der Fokus der Gruppenarbeit auf der Identifikation der bereits vorhandenen Strukturen im Sozialraum, welche genutzt werden können, um einsame Personen zu erreichen. Das Ziel war hierbei, mit den verschiedenen Ideen und Erfahrungen der Teilnehmenden das breite Spektrum der „dritten Orte“ und Schlüsselpersonen aufzuzeigen und in einer Mindmap festzuhalten. Am Ende entstand eine große Ideensammlung, welche den Teilnehmenden aufzeigen sollte, an welchen Stellen über (neue) Kooperationsmöglichkeiten im Sozialraum nachgedacht werden könnte, um einsame ältere Menschen 1. zu finden, und 2. gezielt anzusprechen. Die gesammelten Strukturen reichen von öffentlichen Plätzen (z.B. Parks, Marktplatz, Friedhof) über Gesundheitseinrichtungen (Arztpraxen, Apotheke, Physiotherapiepraxen) und über einzelne Schlüsselpersonen (Postbot:innen, Busfahrer:innen, Lieferservice).

Das eigene Alter(n) – Wünsch dir was!

In diesem Diskussionsraum wurde der Schwerpunkt auf den Aspekt der Prävention gelegt. Einigkeit bestand darin, dass der Zugang zu Menschen und deren Ansprache leichter fällt, wenn die älteren Personen von Einsamkeit bedroht, aber noch nicht betroffen sind. Dies ist u.a. damit zu begründen, dass mehr Zugangswege und -Personen bestehen, die für die Ansprache bzw. das in Kontakt treten genutzt werden können.

Prävention bedeutet, sich frühzeitig mit dem eigenen Alter(n) auseinanderzusetzen und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Mit diesem Hintergrund beantworteten die Praktiker:innen in einem ersten Schritt die Frage, wie sie im Alter(n) leben möchten und was ihnen wichtig erscheint. Digitalisierung wird nicht aus einem Selbstzweck heraus genutzt, sondern hängen von Mehrwerten/Nutzen für die individuelle Lebenssituation ab. Um diese Vorteile auszumachen, muss sich vorab die Frage gestellt werden, welche Aspekte, Themen und Umstände für das eigene Alter(n) relevant und wichtig sind.

Die Mitwirkenden setzten sich mit dem eigenen Alter(n) mittels eines entsprechenden Arbeitsblattes (Persona) auseinander.

Arbeitsblatt "Persona" mit Wünschen zum eigenen Altern

Als Ergebnis wurde sichtbar, dass sich viele Praktiker:innen, die sich im Arbeitsfeld der Senior:innenarbeit bewegen und somit im Arbeitsalltag mit der Zielgruppe der älteren Menschen beschäftigen, sich mit dem eigenen Altern und Alter noch gar nicht bis kaum auseinandergesetzt haben. Bei der Frage, was wichtig ist, wurden viele unterschiedliche Aspekte, Themen und Bereiche benannt. Diese wurden in fünf Bereiche zusammengefasst:

  1. Mitgestaltung & -bestimmung
    Der Wunsch nach sozialer Teilhabe, gebraucht und gewollt zu werden im Rahmen der gesellschaftlichen Mitgestaltung, als relevantes Puzzlestück bei Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen – mit einer entsprechenden Wertschätzung und Anerkennung.
  2. Selbstbestimmung & Selbstständigkeit
    Der Wunsch, Entscheidungen für und über die eigene Lebensgestaltung selbstbestimmt und selbstständig treffen zu können. Im Fokus stehen individuelle Bedarfe und Bedürfnisse, die auch bei Unterstützungsformaten berücksichtigt werden müssen.
  3. Bekanntes Wohnumfeld
    Der Wunsch, im bekannten und vertrauten Wohnumfeld, in der Nachbarschaft oder im Quartier leben zu können bzw. die Wohnform und das Wohnumfeld selbst bestimmen und auswählen zu können, beispielsweise barrierefreies Umfeld gemeinsam mit allen Generationen.
  4. Sicherheit & Möglichkeiten
    Der Wunsch nach Sicherheit bezieht sich auf materielle und finanzielle Aspekte, aber auch darüber hinaus auf das Bedürfnis nach Gesundheit und Fitness, um das eigene Leben möglichst lange unabhängig und eigenständig führen zu können.
  5. Soziale Kontakte & Austausch
    Der Wunsch nach sozialer Integration, nach sozialer Eingebundenheit und Verbundenheit mit anderen Menschen, entsprechend den eigenen Vorstellungen bezüglich der Häufigkeit, Intensität und Ausgestaltung der Kontakte.

Die Ergebnisse wurden in einem Plakat „Wünsche für das eigene Alter(n)“ festgehalten.

Poster mit Arbeitsergebnisse zu "Wünsche für das eigene Altern"

Braucht es neue und innovative Ansätze?

Zusammenfassend ist zu nennen, dass sich thematisch in erster Linie im Bereich der Prävention, also der Möglichkeiten, Einsamkeit (mittels digitaler Anwendungen) entgegenzuwirken, bewegt wurde. Bei der Ansprache der und dem Zugang zu von Einsamkeit betroffenen Menschen ist deutlich geworden, dass insbesondere mit Blick auf die älteren Menschen, im digitalen Raum ähnliche Herausforderungen bestehen, wie in der analogen Welt auch. Erschwert durch die zusätzliche Herausforderung, dass digitale Kompetenzen und Fähigkeiten notwendig sind. Diese müssen in einem ersten Schritt erst einmal vermittelt werden, um an der digitalen Welt teilnehmen und entsprechend profizieren zu können. Deutlich wurde, dass es weitere intensive Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir die von Einsamkeit betroffenen älteren Menschen erreichen können, braucht. Hier ist es wichtig, sich intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Türöffner:innen es gibt und welche bestehenden Strukturen noch genutzt werden, um ggf. dort anzudocken und Menschen zu erreichen.

Wenn die Zielgruppe der von Einsamkeit bedrohten Menschen, die noch einige Kontakte und Anknüpfungspunkte im Quartier und Sozialraum haben, in den Fokus gerückt werden, spielen präventive Aspekte eine zentrale Rolle. Es gibt bereits einige Angebote und Strukturen, die hier zum Tragen kommen. Zentral ist hier, Menschen mit ihren Bedarfen und Bedürfnissen in den Fokus zu rücken und zuzuhören, denn: Menschen wissen selbst am besten, was sie sich für ihr Leben wünschen – das bezieht sich auf die großen aber auch kleinen Wünsche.

Quellen

Anbei findet sich genutzte sowie weiterführende Literatur zum Thema Einsamkeit. Es ist zu beachten, dass diese größtenteils in englischer Sprache verfasst ist.

(Titelbild: erstellt mit Canva)

Letzte Aktualisierung: 2. Januar 2024

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