Im Rahmen des Themenmonats „Stärkung digitaler Kompetenzen für ältere Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf“ im Dezember 2021.
Franca Adler: Hallo Daniel, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, dich mit uns über den diesjährigen Themenmonat auszutauschen. Als erstes interessiert mich, wie überhaupt die Idee für einen Themenmonat entstanden ist und was dieser genau ist?
Daniel Hoffmann: Die Idee hinter dem Themenmonat ist es, sich im breiten Feld der Digitalisierung und ältere Menschen auf eine einzelne Facette zu konzentrieren und das vorhandene Erfahrungswissen aus der Praxis zu bündeln und Interessierten „auf einen Blick“ zugänglich zu machen. Gleichzeitig setzen wir mit einem Themenmonat natürlich auch ein Thema bzw. rücken dies in den Mittelpunkt und bringen es im Bewusstsein der Fachöffentlichkeit voran.
Entstanden ist der Themenmonat aus dem „alten“ Papier-Produkt „Im Fokus“. Print-Medien sind sehr unflexibel. Sie müssen innerhalb eines bestimmten Zeitraums fertig sein und können dann nicht mehr verändert oder erweitert werden. Die Themenmonate halten wir durch alle Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, wie beispielsweise Web-Seminare oder redaktionelle Beiträge auf unserer Website, für einen längeren Zeitraum auf der Agenda, ergänzen sie und bieten zahlreiche, auch situativ entstandene Zusatzangebote.
Insbesondere die begleitenden Web-Seminare bieten einen niedrigschwelligen Zugang und eröffnen in einem geschützten Raum die Möglichkeit zur Diskussion. Hier möchte ich denjenigen, die diese Web-Seminare ermöglichen und als Impulsgeber*innen mitmachen, herzlich danken.
Franca Adler: Der aktuelle Themenmonat 12/2021 beschäftigt sich mit der “Stärkung digitaler Kompetenzen für ältere Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf”. Warum wurde dieses Thema für den ersten Themenmonat ausgesucht?
Daniel Hoffmann: Angebote der Medienkompetenzförderung älterer Menschen gibt es inzwischen einige, wenn auch bei weitem nicht genug. Die Statistiken zeigen uns, dass insbesondere Menschen im hohen Lebensalter digitale Techniken noch nicht so sehr nutzen, bzw. deren digitale Kompetenzen nicht so fortgeschritten sind. Teilweise haben sie in Einrichtungen auch gar nicht die Rahmenbedingungen zur Nutzung (Stichwort WLAN-Zugang in Einrichtungen).
Dazu kommt, dass grade durch die Corona-Krise besonders deutlich wurde, welche Menschen durch die digitalen Angebote der Senior*innenarbeit nicht erreicht wurden. Mit dem Themenmonat möchten wir Impulse setzen und Menschen motivieren, sich für diese Zielgruppen besonders einzusetzen.
Franca Adler: Die Gruppe der älteren Menschen ist sehr heterogen, entsprechend auch die Bedarfe und Barrieren. Der aktuelle Themenmonat widmet sich der Zielgruppe ältere Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf. Was lässt sich unter „erhöhtem Hilfebedarf“ verstehen?
Daniel Hoffmann: Wir haben bei der Namensgebung keine wissenschaftliche Definition hinterlegt. Es geht um Menschen, die mit den üblichen Komm-Strukturen im Bereich der Senior*innenarbeit nicht erreicht werden und spezielle Ansprachen oder Konzepte bei der Förderung benötigen. Dies sind beispielsweise Menschen, die die eigene Häuslichkeit nicht mehr verlassen können, von Einsamkeit oder Pflegebedürftigkeit bedroht oder betroffen sind, die Wahrnehmungsbeeinträchtigungen haben oder aber auch aufgrund einer Sprachbarriere nicht – bzw. nur sehr schwer – erreicht werden können.
Franca Adler: Spielt diese Zielgruppe – Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf – eine Rolle im sonstigen Wirken des Forum Seniorenarbeit?
Daniel Hoffmann: Das Thema Einsamkeit oder Menschen mit Migrationshintergrund hat in der Arbeit des Forum Seniorenarbeit schon immer eine Rolle gespielt. Auch die Knüpfung nachbarschaftlicher Kontakte bzw. der Aufbau tragfähiger sozialer Netzwerke im Alter ist für uns sehr wichtig. Aufgrund der leistungsrechtlichen Abgrenzung und eigenständigen Organisation haben wir Menschen mit Pflegebedarf in Einrichtungen in der Vergangenheit in unserem Themenfeld nicht so sehr berücksichtigt. Mit diesem Themenmonat machen wir aber auch auf deren besondere Situation aufmerksam und schlagen eine Brücke. Allerdings sind auch unsere Ressourcen begrenzt und wir müssen sehr genau schauen, in welche Themen wir zukünftig Energie stecken. Die gemeinsame Klammer ist hier sicherlich der Sozialraum als Lebensmittelpunkt, die Förderung der Medien-/Digitalkompetenz Älterer und die Gewinnung und Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements von und für ältere Menschen zu sehen.
Viele der von uns Entwickelten Materialien, wie der Methodenkoffer und das Schulungskonzept, können beispielweise auch im Kontext sozialer Dienste in Einrichtungen und Wohnprojekten älterer Menschen eingesetzt werden. Darüber hinaus sind in den vergangenen Monaten viele Initiativen aus Förderprogrammen des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW entstanden, mit denen wir konstruktive und interessante Partner*innen gewonnen haben, die an ähnlichen Themen arbeiten.
Franca Adler: Im Fokus des Themenmonats stehen Projekte, die Senior*innen mit erhöhtem Hilfebedarf einen Zugang in die digitale Welt ermöglichen oder mit Hilfe digitaler Techniken neue Kontakträume eröffnen. Welche Ideen/Ansätze sind in Ihren Augen besonders vielversprechend?
Daniel Hoffmann: Wenn wir auf die Einrichtungen schauen, in denen Menschen wohnen, müssen wir zunächst auf die Rahmenbedingungen schauen. Grundlegende infrastrukturelle Voraussetzungen, wie schnelles WLAN in allen Zimmern ermöglichen erst die Nutzung. Hiermit meine ich die privaten Bereiche, da dort erst die persönliche Nutzung beginnen kann. Ein Videogespräch mit meinen Angehörigen gehört meines Erachtens nicht in den Empfangsbereich.
Dann benötigen die Menschen, das betrifft jetzt wieder alle, sehr viel individuelle Beratung und Begleitung bis hin zur Assistenz. Vom Kauf oder der Ausleihe von Geräten, über die Auswahl von Apps, die Nutzung und den Umgang damit oder die Behebung von Problemen. An anderen Stellen ist ggf. die Assistenz bei der Nutzung notwendig. Beispielsweise kann es sinnvoll sein, einer/einem Bewohner*in dabei behilflich zu sein, das Videogespräch mit den Angehörigen oder Freund*innen zu ermöglichen.
Insgesamt glaube ich, je höher der Hilfebedarf, desto höher muss auch die individuelle Begleitung sein. Die erfolgversprechendsten Ansätze sind also diejenigen, die eine höchstmögliche persönliche Begleitung realisieren können.
Digitalisierung ist aber vielmehr als ein Videogespräch und die Lernkurve noch lange nicht am Ende. Von daher ist ein weiterer Erfolgsfaktor die Kontinuität. Bei unserer Ansprechgruppe reicht es eben nicht einen Kurs zu besuchen und „dann klappt schon alles“. Der Kurs oder das Gruppenangebot kann ein Einstieg sein, die daraus entstehenden Wege sind aber sehr unterschiedlich und benötigen verschiedenste Lösungen.
Wenn ich an Menschen denke, die ihre Wohnung nicht verlassen können, benötige ich aufsuchende Strukturen und natürlich Kooperationen mit Organisationen und Initiativen im Sozialraum, die einen Zugang zu oder Kenntnis von diesen Menschen haben.
Franca Adler: Bei der Entwicklung von Angeboten für Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf stößt man sicher auch an gewisse Grenzen und trifft auf den einen oder anderen Stolperstein. Wie sind hier die Erfahrungen des Forum Seniorenarbeit NRW?
Daniel Hoffmann: Diese Frage würde sicher ein eigenes Kapitel füllen können. Ich möchte mich deshalb auf zwei besondere Faktoren fokussieren.
Zum einen ist mir vollkommen klar, dass das Thema Medienkompetenzförderung im Selbstverständnis von Einrichtungen und Organisationen, die mit älteren Menschen arbeiten, keine große Rolle spielt und von vielen anderen Problemen, insbesondere im Moment, überdeckt wird. Dabei ist es aus meiner Sicht aber eines der zentralen Gegenwartselemente in unserer Arbeit, um Teilhabe im Alter zukünftig zu ermöglichen.
Der zweite Stolperstein, den ich besonders hervorheben möchte, ist, dass auch die Strukturen im Hintergrund und diejenigen, die die direkte Beratung und Begleitung leisten, kontinuierlich gefördert und qualifiziert werden müssen.
Grundsätzlich ist dabei auch zu bedenken, dass die Aufgabe nicht ausschließlich auf ehrenamtlichen Schultern getragen werden können und es Hauptamtliche braucht, die zumindest koordinierende und ermöglichende Strukturen stellen und Gruppen begleiten. Hierzu benötigen wir aus meiner Sicht auch zusätzliche Ressourcen, die nicht punktuell Modelle fördern, sondern die oben angesprochene Kontinuität gewährleisten können, ohne andere vorhandene Angebote zu gefährden bzw. zu verdrängen. Diese benötigen wir und die älteren Menschen nach wie vor genauso.
Franca Adler: Das Forum Seniorenarbeit NRW hat ein Schulungskonzept eines Einführungsseminars für freiwillige ältere Digitallots*innen im Themenfeld Digitalisierung, Alter und Hilfebedarf entwickelt. Welche Chancen stecken in dem Schulungskonzept und wo liegen eventuelle Grenzen?
Daniel Hoffmann: Das Schulungskonzept ist eine nachträgliche Ergänzung zum Methodenkoffer. Es setzt an, wenn vor Ort eine Gruppe von Menschen, im Idealfall begleitet von einer hauptamtlichen Person, ein Angebot starten möchte. Es beschreibt eine Möglichkeit diesen Start gemeinsam zu gestalten. Vermittelt wird ein gewisses Maß an Grundlagenwissen, anschließend führt die Schulung zu Vereinbarungen der weiteren Zusammenarbeit.
Die Chance darin ist, dass wir den Menschen, die sich vor Ort engagieren, ein Stück Sicherheit und Wertschätzung geben. Das Schulungskonzept berücksichtigt die Motive für bürgerschaftliches Engagement und ermöglicht die Mitgestaltung von Anfang an.
Die Grenzen bzw. Stolpersteine sind sicherlich auch hier die Ressourcen vor Ort und die individuellen Skills der Begleitung. Sowohl in der Vorbereitung als auch in der Durchführung und nachhaltigen Begleitung. Gleich zu Beginn muss die durchführende Person sich erst einmal mit einem „fremden“ Schulungskonzept vertraut machen und auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten vor Ort anpassen.
Im Februar 2022 versuchen wir eine Umsetzung mit Gruppen im Digitalen. Hier nehmen wir die Vorbereitung ab und führen die Gruppe inkl. der Begleitung in die Arbeit ein. Danach sind wir dann wieder außen vor. Eine intensive Begleitung von Gruppen vor Ort können und wollen wir im Projekt Forum Seniorenarbeit auch nicht gewährleisten, dazu reichen unsere Ressourcen nicht und es wäre aus meiner Sicht auch nicht zielführend.
Franca Adler: Kannst Du uns zum Abschluss noch einen kleinen Ausblick auf die kommenden Monate im Forum Seniorenarbeit geben? Was für Wünsche und Erwartungen gibt es für die kommende Zeit?
Daniel Hoffmann: Die Entwicklung der Corona-Pandemie wird maßgeblichen Einfluss darauf haben, ob wir wieder Präsenzveranstaltungen anbieten können. Ich wünsche mir sehr, wieder mehr Menschen in Workshops, Netzwerktagen und auf Tagungen in Präsenz treffen zu können. Gleichwohl hat sich die digitale Arbeitsweise der letzten Monate etabliert und wir werden 2022 auch wieder ein breites Angebot an Web-Seminaren offerieren.
Ich freue mich zum jetzigen Zeitpunkt sehr auf die Frühjahrsakademie als Netzwerk-Event und Austauschplattform. Darüber hinaus werden wir im Laufe des Jahres thematisch ein bisschen mehr auf das Themenfeld „Kontakte ermöglichen“ eingehen. Also wie können wir digitale Techniken dazu einsetzen, tragfähige soziale Netzwerke zu fördern oder zu ergänzen. Das Thema digitale Begleitung von Engagierten haben wir 2022 ebenfalls auf der Agenda und werden hierzu auch Angebote unterbreiten. Neben allem neuen müssen die erarbeiteten Konzepte aber auch erstmal in die Praxis kommuniziert werden und so hoffe ich, dass sich weitere Menschen dafür interessieren und uns anfragen.
Zur Person:
Daniel Hoffmann (Diplom Sozialarbeiter)
- Projektleitung Forum Seniorenarbeit NRW
- Leiter Förderung und Weiterentwicklung Bürgerschaftlichen Engagements im Kuratorium Deutsche Altershilfe
Letzte Aktualisierung: 9. Januar 2022