Stärkung digitaler Kompetenzen hochaltriger Menschen im Quartier
Projektidee und Förderhintergrund
Gemeinwesenorientierte Senior*innenarbeit im Quartier ist durch die Covid-19 Pandemie vor große Herausforderungen gestellt worden. Analoge Begegnungen sind durch die Kontaktbeschränkungen nur sehr eingeschränkt möglich und wurden zeitweise ganz ausgesetzt. Es mussten daher neue Wege der Begegnung geschaffen werden. Allerorts zeigt sich, dass die Covid-19 Pandemie ein Motor der digitalen Kommunikation ist. Dabei gilt es jedoch ganz besonders darauf zu achten, dass alle Menschen im Quartier digital teilhaben können, wenn sie es möchten. Ein Teil der Zielgruppe der Quartiersarbeit, insbesondere hochaltrige Menschen (80+), aber auch ältere ehrenamtliche Mitarbeiter*innen, ist aus unterschiedlichen Gründen von der digitalen Kommunikation ausgeschlossen, obwohl bei vielen durchaus die Bereitschaft und Offenheit gegenüber der Nutzung digitaler Medien besteht. Es bedarf jedoch sowohl des Zugangs zu Ressourcen als auch der Befähigung, digitale Räume im Alltag zu nutzen. Nur darüber kann über die digitale Teilhabe die soziale Teilhabe aller Menschen im Quartier gestärkt werden. Dies betreffen die Technikausstattung und die Stärkung digitaler Kompetenzen gleichermaßen.
Als Antwort auf die Einschränkungen in der Quartiersarbeit entwickeln hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen seit 2020 im Quartier Schildesche ein Konzept „Auf dem Weg ins hybride Quartier“, um analoge und digitale Quartiersstrukturen miteinander zu verknüpfen. Dazu gehören z.B. digitale Informationsveranstaltungen, hybrid organisierte Lesungen und Theatervorstellungen oder Netzwerktreffen über Videokonferenzsysteme.
Erfahrungen zeigen, dass besonders hochaltrige Menschen vor allem dann die Möglichkeiten des Internets nutzen, wenn sie darin eine unmittelbare Bereicherung ihres Alltags erleben, sie digitale Endgeräte intuitiv und einfach bedienen können, sie eine verständliche Einführung in das Gerät bekommen und bei Fragen oder Problemen schnelle und geduldige Hilfestellung erhalten. An diese Voraussetzungen knüpft das Projekt „Mit der Welt verbunden – Förderung digitaler Teilhabe von hochaltrigen Bürger*innen im Quartier“ an.
Als einer von 100 Erfahrungsorten, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. im Rahmen der Initiative „DigitalPakt Alter“ gefördert werden, ist das Quartier in Bielefeld-Schildesche, in dem der AWO Kreisverband Bielefeld e.V. in Kooperation mit der BGW Bielefelder Gesellschaft für Wohnen und Immobiliendienstleistungen mbH seit 2014 ausgehend vom Bielefelder Modell Quartiersarbeit für und mit den Menschen im Quartier gestaltet, zu einem digitalen Lern-und Erfahrungsort geworden. Wie kann es gelingen, die digitale Teilhabe hochaltriger Menschen zu stärken und auch diejenigen zu erreichen, die bislang keine Erfahrungen im Umgang mit digitalen Endgeräten haben? Diese Fragen stehen bei der Projektentwicklung im Fokus. Es soll ein Ort geschaffen werden, der es besonders technisch unerfahrenen, älteren Menschen ermöglicht, die digitale Welt kennenzulernen und Barrieren abzubauen. Über die Förderung des Quartiers Schildesche als Erfahrungsort wird es möglich, unmittelbar über die Projektdurchführung Erfahrungen zu sammeln, diese zu evaluieren und sie in zukünftige Konzepte zu integrieren.
Das Projekt (Projektlaufzeit 01.07.2021 bis 31.12.2021) ist dabei als Kooperationsprojekt zwischen dem „Bürgerforum Schildesche“ und dem AWO Kreisverband Bielefeld e.V. organisiert. Das „Bürgerforum Schildesche“ ist eine Gruppe von ehrenamtlich engagierten Bürger*innen, die sich gemeinsam dafür einsetzen, eine lebendige Nachbarschaft und ein Miteinander im Quartier zu gestalten. Sie sind Antragssteller des Projektes. Einer der Mitglieder des Bürgerforums Schildesche – selbst Bewohner des Quartiers – ist als ehrenamtlicher Projektverantwortlicher sowohl Ansprechpartner für die Bürger*innen im Quartier als auch Austauschpartner für die Korrespondenz mit der Förderorganisation – der BAGSO e.V. Die Umsetzung und Realisierung des Konzepts erfolgt in enger Abstimmung und Kooperation mit dem professionellen Quartiersmanagement des AWO Kreisverbands Bielefeld e.V.
Die Besonderheit des Projektes besteht insofern darin, dass es in bestehende Quartiersstrukturen eingebettet ist und wesentlich durch bürgerschaftliches Engagement entwickelt wurde und durchgeführt wird. Das Projekt stellt damit einen wichtigen Schritt für die Weiterentwicklung altersgerechter Quartiersarbeit dar, da es neue Wege der Zusammenarbeit von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Quartiersaktiven bestreitet und die bereits bestehenden analogen und digitalen Angebots- und Versorgungsstrukturen durch den Abbau von Barrieren und die Stärkung von Zugangsmöglichkeiten ergänzt.
Projektdurchführung
Ziele des Projektes und Projektgestaltung
Folgende Projektziele wurden definiert:
- Eine Gruppe von fünf hochaltrigen Personen beteiligt sich am Schulungsangebot und erlernt erste Schritte auf dem Tablet. Hierbei stehen Kommunikationsanwendungen im Fokus
- Durch die Nutzung digitaler Kommunikationsanwendungen nehmen die Menschen verstärkt am Leben im Quartier teil
- Ausleihbare Tablets mit seniorengerecht gestalteter Benutzeroberfläche ermöglichen das Einüben des Erlernten vor Ort und zu Hause
Um das Leitziel des Projektes – mehr hochaltrige Menschen erweitern über die digitale Teilhabe ihre soziale Teilhabe im Quartier – zu erreichen, erfolgt die Projektdurchführung in zwei Schritten.
Zunächst wurden über einen lokalen Dienstleister fünf Tablets angeschafft. Zwei dieser Tablets wurden mit einer Prepaid-Sim-Karte ausgestattet, um auch mobil ins Internet zu gelangen. Die Standard-Benutzeroberfläche der einzusetzenden Android-Tablets wurde durch den lokalen Dienstleister seniorengerecht konfiguriert. Dazu wurden einige vorinstallierte Anwendungen entfernt, um die Benutzeroberfläche übersichtlicher zu halten. Die fünf Tablets bilden die Grundlage für die anschließende Schulung. Sie stehen den Teilnehmenden der Schulung sowohl während der Gruppentermine als auch als mögliches Leihgerät für zu Hause zur Verfügung. In 4 Schulungsnachmittagen im Oktober á 1,5 Stunden wurde interessierten Senior*innen in einer Kleingruppe von 5 Personen das Tablet in den Basisfunktionen erklärt. Die Schulungsleitung übernahm eine hauptamtliche Mitarbeiterin der Quartiersarbeit. Sie bildete gemeinsam mit dem ehrenamtlich engagierten Bewohner des Quartiers ein Tandem, um die Teilnehmenden der Schulung möglichst individuell und bedarfsorientiert zu begleiten. Parallel zu den Schulungsnachmittagen fanden in zwei Haushalten Einzelbetreuungen statt, die ebenfalls von dem ehrenamtlichen Mitarbeiter durchgeführt wurden.
Erreichbarkeit der Menschen und Zusammensetzung der Gruppe
Um die Menschen im Quartier auf das Projekt aufmerksam zu machen und sie zur Teilnahme am Erfahrungsort einzuladen, wurde sowohl die Möglichkeit der Öffentlichkeitsarbeit in den lokalen Medien als auch die persönliche Ansprache über Vertrauenspersonen im Quartier genutzt. Gerade die persönliche Ansprache ist von besonderer Bedeutung, um auch zurückgezogen lebende Menschen zu erreichen und hochaltrige Menschen, die bislang keine Bezugspunkte zur Nutzung der digitalen Geräte und des Internets hatten, das Zutrauen zu geben, an einer Schulung teilzunehmen. Über die persönliche Ansprache konnte eine 79-jährige Quartiersbewohnerin, die bislang keine Erfahrung im Umgang mit digitalen Geräten hat, für die Teilnahme an der Schulung gewonnen werden. Des Weiteren wurde über das persönliche und vertraute nachbarschaftliche Gespräch der Bedarf eines 96 Jahre alten Quartiersbewohners deutlich, der fortan gemeinsam mit seiner Tochter in der eigenen Häuslichkeit individuell geschult wurde.
Die Ansprache der Menschen über Öffentlichkeitsarbeit fand über eine Pressemitteilung in der lokalen Presse statt (über das Quartier hinaus). Die Resonanz auf den Presseartikel und die darin angekündigte Schulung war hoch, sodass das Projekt mit seinem Vorhaben, zunächst fünf Personen über 80 Jahre ohne Vorerfahrung für die Teilnahme zu gewinnen, den sichtbar werdenden Bedarf nicht decken konnte. Kurzfristig wurde ein zweiter Schulungsdurchlauf mit ebenfalls fünf Teilnehmenden für die Monate November und Dezember beschlossen. Dennoch übersteigt die Nachfrage nach wie vor das Angebot. So meldeten sich auch viele Personen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren. Neben dem Interesse an der Tabletschulung wurde dabei auch das Interesse an einer Smartphone-Schulung oder einem PC-Kurs artikuliert. Schließlich wurden für beide Schulungsdurchläufe jeweils fünf Teilnehmende ausgewählt. Die jüngste Teilnehmerin steht kurz vor ihrem 80. Geburtstag, die älteste Teilnehmerin der Gruppenschulung ist 88 Jahre alt. Eine weitere Person (84 Jahre alt), die sich auf den Presseaufruf meldete, wird darüber hinaus individuell in der eigenen Häuslichkeit unterrichtet.
Schulungsinhalte
Die vier Schulungseinheiten zielen nicht darauf ab, dass das Tablet im Anschluss vollständig selbstständig beherrscht wird. Vielmehr zielt die Schulung darauf ab, Barrieren und Ängste abzubauen und sicherer im Umgang mit dem Tablet zu werden. In der Schulung stehen daher grundlegende Funktionen, die gerade für die Zielgruppe als besonders interessant erachtet werden, im Vordergrund.
Dementsprechend gliedert sich die Schulung in folgende Inhalte:
Schulungsinhalt 1:
Den Teilnehmenden wird ein erster Eindruck von den Tablets vermittelt. Sie lernen, das Tablet ein- und auszuschalten, die Ladekapazität zu überprüfen und das Netzwerkkabel zur Aufladung des Geräts zu benutzen. Sie erhalten exemplarisch einen Einblick in die App „Chefkoch“, die bereits vorinstalliert ist, und wenden die Spiele-App „4 Bilder, 1 Wort“ an.
Schulungsinhalt 2:
Neben der Wiederholung der Inhalte aus der ersten Schulungseinheit lernen die Teilnehmenden das Schreiben und Tippen mit der App „Samsung Notes“. Dies dient der Vorbereitung auf die nächste Schulungseinheit, in der das Versenden und Empfangen von Emails erlernt werden soll.
Schulungsinhalt 3:
Die Teilnehmenden probieren die Kamerafunktion aus, fotografieren sich gegenseitig und erstellen ein „Selfie“ von sich. Im nächsten Schritt lernen sie, das Email Programm zu nutzen, um Emails zu versenden und zu empfangen. Sie schicken sich dazu gegenseitig eine Email, in der sie das zuvor gemachte Foto mitschicken.
Schulungsinhalt 4:
Die Inhalte aus der letzten Schulungseinheit werden nochmals wiederholt, um sicherer im Umgang mit der Kamera zu werden und das Versenden und Empfangen von Emails weiter zu üben. Als weiteres neues Element wird zudem der Internetbrowser des Tablets vorgestellt. Die Teilnehmenden machen erste Schritte im Internet. Exemplarisch machen sie sich mit der Internetseite der Stadt Bielefeld vertraut.
Erfahrungen aus der Schulung
Die Resonanz zur spielerischen Herangehensweise mit dem Tablet, durch Apps wie „4 Bilder, 1 Wort“, ist positiv ausgefallen. Hochaltrige Menschen sind für digitale Technologien zu begeistern, Voraussetzung hierfür ist jedoch ein adäquates und geduldiges Lernumfeld.
Die Teilnehmenden benötigten während der Gruppensitzungen punktuell zusätzlich individuelle Beratung bei der Bearbeitung der Übungen. Diese konnten von allen mit Unterstützung ausgeführt werden. Größere Schwierigkeiten bestanden vor allem beim Schreiben von Emails und beim Tippen mit den Fingern, also Aktivitäten, die insbesondere die Feinmotorik betreffen.
Darüber hinaus fiel es den Teilnehmenden leichter, ein Gerät zu bedienen, wenn sie dieses bereits beim Termin zuvor genutzt haben. Ein Wechsel der Geräte bei den verschiedenen Einheiten stellte sich als ungünstig heraus.
In einem Fragebogen konnten die Teilnehmenden die Schulungen bewerten. Übereinstimmend wurde die Geduld der Schulungsverantwortlichen gelobt und die Teilnahme am Programm als hilfreich empfunden. Als Problem sahen die Teilnehmenden ihre mangelnde Merkfähigkeit, insbesondere bei neuen Begrifflichkeiten. Vier der fünf Mitglieder der Schulungsgruppe sind sehr an weiterführenden Angeboten interessiert.
Insgesamt zeigten sich alle Teilnehmenden interessiert und neugierig am Umgang mit den Tablets. Aufgrund der gewonnenen Erfahrungen sind die Tablet-Schulungen in der Gruppe ein vielversprechender Ansatz, um Ängste und Hemmungen abzubauen, reichen bei dieser Zielgruppe jedoch allein nicht aus, um ein tieferes Verständnis der Techniknutzung zu erhalten. Daher ist ein anknüpfendes, niedrigschwelliges Unterstützungsangebot im jeweiligen Lebensumfeld, welches aktiv durch Ehrenamtliche mitgestaltet wird, nötig. Auf diese Weise ist es möglich, speziell auf die individuellen Bedürfnisse hochaltriger Menschen einzugehen und einen kontinuierlichen Zuspruch in Bezug auf die digitalen Kompetenzen zu geben.
Erfahrungen aus den Einzelbetreuungen
Nicht alle Menschen, die Interesse an einer Schulungsteilnahme geäußert hatten, waren in der Lage, den Schulungsort aufzusuchen. Gerade für diese Menschen kann die Nutzung digitaler Technologien und Medien jedoch eine erhebliche Bereicherung des Alltags darstellen. Es wurde deshalb zwei Personen (96 und 84 Jahre) mit großen gesundheitlichen Problemen angeboten, eine Einweisung in digitale Endgeräte in der Häuslichkeit zu geben. Insgesamt wurden bisher sieben Schulungen mit einer Dauer von jeweils 1,5 – 2 Stunden durchgeführt. Abweichend von der Gruppenschulung orientierten sich die Inhalte ausschließlich an den spezifischen Interessen der beiden Teilnehmenden. Bei beiden Personen stand das Interesse an Spielen im Vordergrund. Es wurde deshalb die Funktion des Play Store erläutert und Spiele des Interesses (Solitär, Schach, Mühle, Halma) installiert und ausprobiert. Weitere Themen waren Email, Videotelefonie und die Kamerafunktion. Auch diese Anwendungen wurden erklärt und zusammen mit Hinweisen zur Touchscreen-Bedienung geübt.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass auch hochaltrige Menschen durchaus in der Lage sind, die digitale Welt zu verstehen und die für sie wichtigen Möglichkeiten mit Interesse und Spaß anzuwenden. Voraussetzung für eine perspektivisch selbständige Nutzung ist jedoch, dass eine dauerhafte ermutigende Begleitung gewährleistet wird, die das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt. Diese sollte durch qualifizierte Personen aus ehrenamtlichen Netzwerken unter Einbeziehung von Unterstützenden aus dem sozialen Nahraum erfolgen.
Wie geht es weiter?
Die Stärkung digitaler Kompetenzen hochaltriger Menschen im Quartier kann nicht durch einige wenige Schulungseinheiten erreicht werden. Sie ist als dauerhafter Prozess anzulegen. Deshalb ist vorgesehen, ein offenes Digitalcafé einzurichten, das zweimal monatlich den Kursteilnehmenden aber auch weiteren interessierten Menschen im Quartier offensteht. Unter Anleitung eines Teams von 2-3 technikaffinen Ehrenamtlichen, die gemeinsam Verantwortung übernehmen (ein Team von „Digitallots*innen), können digitale Themen von Interesse aber auch spezifische Probleme mit digitalen Endgeräten erörtert werden. Angestrebt wird die Installierung einer Lerngruppe, die sich wechselseitig berät. Ferner sollen im Digitalcafé auch Informationen über aktuelle Fortbildungen, auch kommerzieller Art, zur Verfügung stehen. Geplant ist, mehr ehrenamtlich interessierte Menschen für diese Arbeit zu gewinnen und auszubilden (Digitallots*innen). Diese könnten zukünftig dann auch an die Häuslichkeit gebundene Personen unterstützen.
Weitere Informationen zum Projekt auf der AWO-Homepage.
Autor*innen:
Helmut Breitkopf, ehrenamtlicher Projektverantwortlicher, Bürgerforum Schildesche
Kerstin Discher, Projektmitarbeiterin in der Quartiersentwicklung, AWO Kreisverband Bielefeld e.V.
Lara Sommer, Digitalisierungsbegleiterin, AWO Kreisverband Bielefeld e.V.
Foto oben: Helmut Breitkopf, ehrenamtlicher Mitarbeiter und Projektverantwortlicher, erklärt der Teilnehmerin Mona Zühlke (80) die Funktionen des Tablets.
Letzte Aktualisierung: 8. Dezember 2021