Kaum etwas hat die Gesellschaft auch im Jahr 2021 so umfassend beeinflusst wie die Coronapandemie. Von „Homeschooling“ über „Homeoffice“ bis hin zu digitalen Behördengängen. Die Coronapandemie hat damit aber auch die Relevanz von Digitalisierung und digitalen Technologien für unsere moderne Gesellschaft verdeutlicht.
Die Digitalisierung unserer Lebenswelt erfordert von Nutzer:innen eine umfassende Orientierungs- und Gestaltungskompetenz, um aktuelle Entwicklungen einordnen und das eigene Handeln reflektieren zu können (Bertelsmann Stiftung 2019). Die aktive und selbstbestimmte digitale Teilhabe setzt dabei ein Mindestmaß an „digitaler Souveränität“ voraus. Unter dem Begriff der digitalen Souveränität verstehen wir all die digitalen Kompetenzen, die für ein selbstbestimmtes Leben – nicht nur im Alter – notwendig sind.
Die digitale Spaltung verschiebt sich
In den letzten Jahren konnte der digitale Graben in Bezug auf den Zugang zum Internet verringert werden, doch allein der Zugang zum Internet ermöglicht keine Teilhabe – er stellt lediglich die Eintrittskarte in die digitale Gesellschaft dar. Laut dem Digital-Index der Initiative D21 sind derzeit 88 Prozent der deutschen Bevölkerung Internetnutzer:innen, 80 Prozent sind als Internetnutzer:innen mit mobilen Endgeräten unterwegs (Initiative D21 e. V. 2021). Der Digital-Index zeigt auch, dass der Zugang zum Internet auch in Deutschland entlang verschiedener soziodemographischer Merkmale unterschiedlich verläuft – maßgeblich dem Alter, dem Geschlecht, dem Bildungsgrad und dem Einkommen. Demnach nutzen Jüngere einen Internetzugang eher als Ältere, Frauen eher als Männer und höher Gebildete eher als niedriger Gebildete sowie Nichtberufstätige.
Zwar ist der Anteil der mobilen Internetnutzer:innen unter den Älteren oder Nutzer:innen mit niedriger Bildung in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, nicht zuletzt aufgrund erschwinglicherer Mobilfunktarife und Smartphones, doch einen vollwertigen Ersatz stellt der mobile Internetzugang im Vergleich zum stationären Zugang nicht dar. Eine Studie in der amerikanischen Stadt Detroit etwa konnte zeigen, dass ein breiteres Spektrum verschiedener Internetzugangsmöglichkeiten die Teilnahme an Onlineaktivitäten erhöht. Der ausschließliche Zugang zum Internet via mobile Daten über ein Mobiltelefon ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einem Breitbandanschluss (Reisdorf et al. 2020).
Mehr soziale Teilhabe lässt sich insbesondere durch die Nutzung mehrere Zugangsarten erreichen. Doch Technologien ändern sich schnell. Ein gerade noch aktuelles Smartphone kann schon bald wieder veraltet sein. Eine Studie in den Niederlanden – einem Land, in dem über 98 Prozent der Bevölkerung angeben, einen Internetzugang zu besitzen – kommt zu dem Ergebnis, dass hohe Bildung und hohes Einkommen häufig mit vielfältigeren Möglichkeiten der Internetnutzung einhergehen. Wenn in einem Haushalt mehr internetfähige Geräte verfügbar sind, so konnten die Forscher:innen zeigen, dann ist nicht nur die Internetnutzung höher, sondern dann sind auch die digitalen Kompetenzen größer (van Deursen und van Dijk 2019).
Wie steht es um die digitalen Kompetenzen?
Bereits 2019 haben wir eine Studie zum Thema digitale Kompetenzen durchgeführt. Unsere vergleichende Analyse „Digital Souverän 2021: Aufbruch in die digitale Post-Coronawelt?“[1], durchgeführt vom Marktforschungsinstitut Kantar in unserem Auftrag, zeigt nun erstmals: Die Befragten schätzen digitale Technologien und den souveränen Umgang mit ihnen nach einem Jahr Corona insgesamt höher ein als noch vor zwei Jahren (2019). Für vier von zehn Befragten ist die Nutzung des Internets nun noch wichtiger als vor der Coronapandemie.
Vor allem jüngere Menschen und Frauen äußern heute einen Bedeutungszuwachs des Internets, bei Älteren und Männern ist dies weniger ausgeprägt. Und je höher der Bildungsgrad, desto wichtiger ist für die Befragten auch, das Internet zu nutzen. Ein Vergleich der Daten von 2019 und 2021 zeigt insgesamt eine digitale Spaltung entlang der Faktoren Alter, Bildungsgrad und Haushaltsnettoeinkommen. In den letzten Jahren konnte der digitale Graben in Bezug auf den Zugang zum Internet verringert werden, doch allein der Zugang zum Internet ermöglicht keine Teilhabe – er stellt lediglich die Eintrittskarte in die digitale Gesellschaft dar.
[1] Die vollständige Studie finden Sie auf der Webseite der Bertelsmann Stiftung
Die Pandemie verschärft die digitale Spaltung
Knapp die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen gibt an, dass die Internetnutzung für sie, verglichen mit der Zeit vor der Coronapandemie, nun wichtiger geworden ist. Diese Altersgruppe ist für ihre Bildung und auch im Arbeitsleben meist besonders auf das Internet angewiesen, beispielsweise aufgrund von Fernunterricht an Schule oder Hochschule. Die Altersgruppen der 30- bis 39-Jährigen, 40- bis 49-Jährigen und 50- bis 59-Jährigen messen der Internetnutzung im Durchschnitt mehr Bedeutung bei als etwa die Generation 60+.
Die Ergebnisse der Studie zeigen jedoch unerwartbares: Je älter die Befragten sind, desto weniger wichtig ist die Internetnutzung im Vergleich zur Zeit vor Corona. Dabei sind es gerade die Älteren, die von der Anwendung digitaler Technologien profitieren könnten: Etwa indem sie dadurch trotz Kontaktbeschränkungen vielfältige soziale Beziehungen herstellen und pflegen können sowie bestimmte Besorgungen und Erledigungen über das Internet tätigen könnten. Je älter, desto schlechter schätzen die Befragten allerdings auch die eigenen Kenntnisse im Bereich digitaler Technologien ein. Der allgemein angenommene „Digitalisierungsschub“ und ein damit einhergehender Bedeutungszuwachs der Internetnutzung zeigt sich somit für die Gruppe der über 60-Jährigen nicht.
Eigene Kenntnisse nehmen kaum zu
Aus dem Strukturwandel der Gesellschaft von einer Industrie- hin zu einer Wissensgesellschaft ergeben sich immer neue Anforderungen an die Kompetenzen von Arbeitnehmer:innen und Bürger:innen. Kenntnisse digitaler Technologien werden gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt deshalb für viele Arbeitsfelder und -profile wichtiger (Bertelsmann Stiftung 2020). Digitale Kenntnisse und Kompetenzen entscheiden letztlich darüber, wie das Internet für die Suche nach Informationen, die Kommunikation oder die gemeinsame Zusammenarbeit genutzt wird (van Laar et al. 2020).
Rund zwei Drittel der Befragten geben ihre eigenen Kenntnisse mit „sehr gut“ oder „eher gut“ an. Das sind sechs Prozent mehr als noch 2019. Der Digitalisierungsschub oder anders formuliert, die „digitalen Zumutungen“ der Coronapandemie haben die Relevanz dieser Kenntnisse noch einmal verstärkt, so möchte man meinen. Doch bei typischerweise im Berufsleben stehenden Altersgruppen lässt sich 2021 im Vergleich zu 2019 kein eindeutiger Trend feststellen. Tatsächlich fielen bei den 30- bis 39-Jährigen und den 40- bis 49-Jährigen die eigenen Kenntnisse 2021 leicht, bei den 50- bis 59-Jährigen hingegen stiegen sie um sieben Prozent. Dennoch zeigt sich in der Zusammenschau: Je älter, desto schlechter werden die eigenen Kenntnisse im Bereich digitale Technologien eingeschätzt. Auch 2021 schätzen Jüngere ihre Kenntnisse als besser ein.
Auch die Schulbildung und das Haushaltsnettoeinkommen haben einen signifikanten Einfluss auf die eigenen Kenntnisse. Je höher die Schulbildung oder das Einkommen, desto besser werden die Kenntnisse eingeschätzt. Somit ist trotz der Coronapandemie die Entwicklung der eigenen Kenntnisse als eher gering einzuschätzen. Der erwartete „Digitalisierungsschub“, der aus dem Zwang der Auseinandersetzung mit neuen Technologien nun in der Breite der Bevölkerung antizipiert wird, zeigt sich hier somit nicht. Es droht eine weitere Verschärfung der digitalen Spaltung hinsichtlich der Selbsteinschätzung der erforderlichen Kompetenzen.
Die Sicherheit im Umgang mit digitalen Technologien stagniert
Wer sich im Internet sicher bewegt und im Umgang mit digitalen Technologien und Geräten wie Smartphones, Tablets und Computer sicher fühlt, der erfüllt eine wichtige Voraussetzung zur Stärkung der eigenen digitalen Kompetenzen. Insgesamt bleibt das selbst eingeschätzte Sicherheitsgefühl bei den Befragten im Vergleich zu 2019 jedoch auf einem vergleichbaren Niveau. Lediglich ein Fünftel der Befragten fühlt sich im Umgang mit dem Internet und mit digitalen Technologien „sehr sicher“, knapp die Hälfte (45 Prozent) fühlt sich „eher sicher“.
Großer Wunsch nach mehr Unterstützungsangeboten
In der Pandemie zeigt sich die große Bedeutung eines menschlichen sozialen Netzwerks, das bei den unterschiedlichsten Fragen auch persönlich mit Rat und Tat zur Seite steht. Für Ältere ist vor allem die Möglichkeit, Fragen zum Umgang mit neuen Technologien an Freunde und Familienmitglieder stellen zu können, eine gute Voraussetzung, um Kenntnisse aufzubauen und die eigenen Problemlösungskompetenzen zu stärken.
Zwar lösen die Befragten Fragen sowie Probleme bei der Nutzung des Internets im Vergleich zu 2019 nun stärker selbst, doch rund die Hälfte wünscht sich Unterstützungsangebote zum Erlernen digitaler Kompetenzen. Mehr als die Hälfte wünscht sich Hilfe in Form von Lernvideos oder Onlinekursen (58 Prozent), knapp die Hälfte Lernangebote außerhalb des Internets, wie beispielsweise Volkshochschulen und Bibliotheken (48 Prozent). 46 Prozent fänden die telefonische Unterstützung durch einen qualifizierten Computerexperten sinnvoll, 42 Prozent die Unterstützung durch einen Computerexperten, der persönlich nach Hause kommt.
Digitale Kompetenzen ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe
Wenn es durch die Coronapandemie einen Digitalisierungsschub gegeben haben sollte, dann lässt er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig in messbaren Faktoren, wie etwa einer höheren Informiertheit, besseren digitalen Kenntnissen oder einem sichereren Umgang, erfassen. Zwar ist die Nutzung des Internets für viele in der Bevölkerung und auch unter den Befragten wichtiger geworden, der Ausbau der eigenen Kenntnisse hält mit dieser Entwicklung allerdings nicht Schritt.
Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wird allerdings ohne die Weiterenticklung der eigenen digitalen Kompetenzen zunehmend schwerer. Es sind ziel- und altersgruppenspezifische Angebote nötig, bei denen Nutzer*innen individuell lernen können und wollen. Gerade dort, wo die Familie und Freunde nicht die ersten Ansprechpartner:innen sind, etwa in Alten- und Pflegeheimen, sollten digitale Zugänge, Unterstützungsstrukturen und Lernangebote geschaffen werden. Besonders für Ältere sollten Lernmöglichkeiten und -orte durch gemeinsame Initiativen verstärkt alltagsnah entstehen, zum Beispiel in Volkshochschulen, Stadtteil- und Begegnungszentren in den Kommunen, Bibliotheken oder Bürgertreffs. Bei Jugendlichen sollten digitale Kompetenzen stärker im Lehrplan verankert werden.
Literatur
Bertelsmann Stiftung (2019). „Digital souverän? Kompetenzen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter“. Gütersloh. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Smart_Country/Digitale_Souveraenitaet_2019_final.pdf.
Bertelsmann Stiftung (2020). „ZUKUNFTSSTUDIE MÜNCHNER KREIS. Sonderstudie zur Corona Pandemie“. Gütersloh. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/ZukunftsstudieVIII_Sonderstudie_Corona_final.pdf.
Initiative D21 e. V. (2021). „D21 Digital Index 2020/2021. Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft. “. https://initiatived21.de/d21index/.
Reisdorf, Bianca C., Laleah Fernandez, Keith N. Hampton, Inyoung Shin und William H. Dutton (2020). „Mobile Phones Will Not Eliminate Digital and Social Divides. How Variation in Internet Activities Mediates the Relationship Between Type of Internet Access and Local Social Capital in Detroit“. Social Science Computer Review (16) 2, 089443932090944.
van Deursen, Alexander J., und Jan A. van Dijk (2019). „The first-level digital divide shifts from inequalities in physical access to inequalities in material access. “. New Media & Society (21) 2, 354–375.
van Laar, Ester, Alexander J. A. M. van Deursen, Jan A. G. M. van Dijk und Jos de Haan (2020). „Determinants of 21st-Century Skills and 21st-Century Digital Skills for Workers. A Systematic Literature Review“. SAGE Open (10) 1, 215824401990017.
Autor*innen
Dr. Tobias Bürger ist Project Manager im Projekt „Smart Country“ im Programm „Lebenswerte Kommune“ der Bertelsmann Stiftung
Andreas Grau ist Project Manager im Programm „Lebenswerte Kommune“ der Bertelsmann Stiftung. In dieser Funktion verantwortet er das Projekt „Engagierte Stadt“.
Letzte Aktualisierung: 1. Dezember 2021