Interview mit Patrick Ney, Projektmanager für Digitalisierung im Fachbereich Senioren der Stadt Hannover und Sprecher der AG Digitalisierung im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement.
Im Rahmen des Themenmonats Stärkung digitaler Kompetenzen für ältere Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf im Dezember 2021.
Forum Seniorenarbeit: Hallo Patrick, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für uns nimmst. Projektmanager für Digitalisierung im Fachbereich Senioren: was genau sind Deine Aufgaben bei der Stadt Hannover?
Patrick Ney: Seit 2014 setzt sich der Fachbereich Senioren intensiv in der Senior*innenarbeit mit der Digitalisierung auseinander und unterstützt Senior*innen, diese Chancen der Digitalisierung wahrzunehmen. Der Fachbereich Senioren hat sich zum Ziel gesetzt, die Digitalisierung der Lebenswelt der Senior*innen aktiv mitzugestalten und als Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge zu begreifen. Deshalb werden im Fachbereich Senioren in zahlreichen Projekten digitale Lösungen erprobt. Aktuell entwickeln wir eine seniorenspezifische Digitalisierungsstrategie und arbeiten in folgenden Handlungsfeldern:
-
- Sensibilisierung und Beratung zu technikunterstütztem Wohnen mit Ambient Assisted Living und Smart-Home
- digitale Pflege in den städtischen Alten- und Pflegezentren erproben
- digitale Infrastruktur bereitstellen, wie WLAN
- digitale Kompetenzentwicklung für ältere Menschen und Mitarbeitende
- digitalen Sozialraum aufbauen z.B. im Rahmen von Quartiersentwicklung durch die Kooperation mit der digitalen Nachbarschaftsplattform nebenan.de
- digitale Services anbieten, wie Streaming von Veranstaltungen und Initiierung eines Podcasts
- digitale Verwaltung damit Bürger*innen Anträge perspektivisch digital stellen können
Forum Seniorenarbeit NRW: Im Themenmonat möchten wir in besonderer Weise die Förderung der Medienkompetenz von Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf beleuchten. Welche Rolle spielen in den Überlegungen Menschen in Wohneinrichtungen, Pflegeheimen oder mit Pflegebedarf in der eigenen Häuslichkeit?
Patrick Ney: In unseren Aktivitäten zu digitaler Kompetenzentwicklung unterstützen wir vor allem Menschen, die noch zu Hause wohnen. Pflegerische Einschränkungen haben auf die Nachfrage von Menschen, die in der eigenen Häuslichkeit wohnen, wenig Einfluss. Wir erhalten zunehmend Anfragen von Personen aus Wohneinrichtungen und Pflegeeinrichtungen. Insgesamt ist die Nachfrage noch zurückhaltend. Das liegt u.a. daran, dass viele Einrichtungen noch kein flächendeckendes WLAN bereitstellen. In unserem städtischen Alten- und Pflegezentren arbeiten wir derzeit daran. Darüber hinaus haben wir angefangen in Alten- und Pflegeeinrichtungen digitale Sprechstunden zu initiieren. Dazu kommen Bewohner*innen aus der Einrichtung und aus dem Quartier. Wir sprechen die Bewohner*innen in den Einrichtungen direkt an und schreiben Beiträge in der internen Hauszeitung.
In einer Einrichtung fungiert ein Bewohner als Multiplikator und Motivator, dadurch kommen weitere Teilnehmende. Allerdings ist das ein Prozess, der Zeit braucht und Aufgeschlossenheit der Einrichtungen, WLAN und Technikunterstützungsangebote zu fördern. Wir sind davon überzeugt, dass vor allem ältere Menschen mit Einschränkungen, ob zu Hause oder in Wohneinrichtungen und Pflegeheimen, von digitalen Möglichkeiten profitieren. Denn digitale Teilhabe heißt auch reale Teilhabe. Das wollen wir als Kommune im Sinne der Daseinsvorsorge unterstützen.
Forum Seniorenarbeit: Wovon konkret können die Menschen profitieren? Kannst Du uns einige Beispiele nennen?
Patrick Ney: Die Menschen profitieren davon, dass unsere Angebote in unsere Strukturen nachhaltig eingebettet werden und Angebote, wie die ehrenamtlichen Medien- und Techniklots*innen unabhängig von befristeter Förderung existieren. Vor allem profitieren die Menschen selbst von den digitalen Angeboten. Sie ermöglichen Zugang zu einer „neuen“ Welt und erfahren mehr Teilhabe und Selbstständigkeit. Manchmal nehmen unsere Klient*innen mehr Hürden als Chancen digitaler Technik wahr. Hierbei unterstützen wir die Menschen. Im Fokus steht, die Menschen in ihrer Geschwindigkeit auf der Lernreise zu begleiten. Wir haben gute Erfahrungen gesammelt, direkt an den persönlichen Interessen der Klient*innen anzusetzen. Wenn jemand gerne im Garten arbeitet, können Apps die Schädlinge über ein selbst gemachtes Foto automatisch erkennen, sehr hilfreich sein. Eine Klient*in von uns macht gerne Handarbeit. Wir haben ihr Pinterest gezeigt und die Möglichkeit unbegrenzt auf Inspirationen und Vorlagen zuzugreifen. Das hatte die 90-jährige Dame motiviert, sich ein Smartphone anzuschaffen und weitere Funktionen zu nutzen. Vorher hatte sie wenig bis kein Interesse an digitaler Technik. Mit unserer Arbeit schaffen wir Räume, damit ältere Menschen digitale Technik erfahren können. Das funktioniert vor allem für Menschen in Altenheimen gut.
Forum Seniorenarbeit: Danke für die nahtlose Überleitung. Gibt es Deiner Ansicht nach Unterschiede in den Ansätzen zur Kompetenzvermittlung in stationären Einrichtungen und der offenen Senior*innenarbeit? Inwiefern unterscheiden sich die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen?
Patrick Ney: Eine wichtige Voraussetzung ist das Vorhandensein einer flächendeckenden WLAN-Versorgung in den stationären Einrichtungen. Weiterhin benötigt es Tablets- und Smartphones zum Leihen, denn nur wenige Bewohner*innen in diesen Einrichtungen haben bereits ein Endgerät. Darüber hinaus ist ein niedrigschwelliges Angebot der stationären Einrichtung oder die Kooperation mit einem Netzwerkakteur aus dem Quartier zentral, um die Bewohner*innen vor Ort Schritt für Schritt die digitale Welt zu begleiten. Die Ansätze in der Kompetenzvermittlung z. B. als Kursformat und Peer-to-Peer Learning unterscheiden sich nicht zu den Angeboten der offenen Senior*innenarbeit. Den größten Unterschied sehe ich eher in der Ansprache und Motivation. Bewohner*innen stationärer Einrichtungen haben viel weniger Berührungspunkte als Senior*innen außerhalb dieser Einrichtungen. Das liegt u.a. an der Angebotshäufung. Mir sind bundesweit viel mehr Kompetenzvermittlungsangebote unterschiedlicher Träger im Quartier bekannt als in stationären Einrichtungen.
Forum Seniorenarbeit NRW: Eine letzte Frage, gibt es Technologien, Anwendungen oder Apps in denen Du für Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf besondere Potenziale siehst?
Patrick Ney: Es gibt zunehmend mehr Technologien, Anwendungen und Apps, die Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf unterstützen. Im Bereich Ambient Assisted Living (kurz AAL) und Smarthome können insbesondere diese Zielgruppen profitieren. Anzuführen sind hier u. a. Sprachsteuerungssysteme und elektrische Lupen mit Kontrastanpassungen. Letztere verfügen häufig über eine Hilfsmittelnummer. Damit können Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten bei Bedarf solche Geräte auf „Rezept“ erhalten. Im Bereich der Apps gibt es viele Möglichkeiten, wie z. B. KNFB Reader, die maschinelle Schrift in Sprache ausgibt. Das hilft vor allem Menschen mit starken Seheinschränkungen. Die App kann Text unterschiedlicher Sprachen erfassen und ausgeben. Auch die kostenfreie App Be My Eyes unterstützt Menschen mit starken Seheinschränkungen und Blinde, indem sehende Ehrenamtliche Gegenstände vorlesen. Mit Anwendungen wie BIG Launcher können auf jedem Smartphone die Oberflächen auf dem Gerät individuell angepasst werden. Das unterstützt vor allem Einsteiger*innen. Die Grundversion der App ist kostenfrei. Auch die App Starthilfe der Medienanstalt Baden-Württemberg unterstützt kostenfrei beim schrittweisen Erlernen eines Smartphones. Pflegende Angehörige und zu Pflegende werden mit der App Nui Care unterstützt bei pflegerischen Fragen, Beantragung von Pflegeleistungen und der Organisation des Alltages. Nach einem Testmonat kostet die App knapp 20 Euro / Monat. Ab 2022 ist die App als Digitale Pflege Anwendung (DiPA) registriert und die Kosten werden von der Pflegeversicherung übernommen.
Von digitalen Lösungen können vor allem Menschen mit erhöhten Hilfebedarf profitieren, wenn sie die Möglichkeiten kennen und diese nutzen können. Hier brauchen diese Zielgruppen Unterstützung. Diese Unterstützung ist meistens individuell und zeitintensiv, doch es lohnt sich.
Forum Seniorenarbeit NRW: Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für uns genommen hast.
Das Interview führte Daniel Hoffmann.
Patrick Ney (Gerontologe M.A., E-Business Manager, AAL-Berater) ist seit 2014 als Projektmanager für Digitalisierung in der Landeshauptstadt Hannover (Fachbereich Senioren) tätig. Schwerpunkt seiner Arbeit ist digitale Strukturen und Angebote außerhalb von E-Government in der Kommune aufzubauen. Kurzum: Er macht digitale Lösungen erfahrbar und ist Übersetzer zwischen der digitalen und analogen Welt. Ziel seiner Arbeit ist es, die Entwicklungen und Chancen digitaler Transformation für die Kommune und den sozialen Sektor nutzbar zu machen sowie die aktive Gestaltung kommunaler Daseinsvorsorge.
Kontaktdaten:
Landeshauptstadt Hannover
Fachbereich Senioren
Ihmepassage 5, 30449 Hannover
Tel.: 0511 / 168 46545
patrick.ney@hannover-stadt.de
www.seniorenberatung-hannover.de
Letzte Aktualisierung: 2. Dezember 2021