Modellprojekt „Digitale Nachbarn“ zeigt, wie Sprachdienste die soziale Teilhabe älterer Menschen stärken
Autor: Hans Prager, Kreisgeschäftsführer, DRK Kreisverband Südwestpfalz e.V.
„Alexa, ruf Ursula an!“ Dieser Satz kommt nicht etwa aus dem Mund eines Teenagers. Es ist der Sprachbefehl von Ute Hock-Bewersdorf. Sie ist 78 Jahre alt – und bedient den Sprachdienst Alexa über ihr Echo Show-Gerät mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte sie nie etwas anderes getan. Gemeinsam mit neun weiteren älteren Damen und Herren aus dem Zweibrückener Stadtteil Ixheim in Rheinland-Pfalz ist sie Teil des Projekts „Digitale Nachbarn“.
Können digitale Geräte die Einsamkeit älterer Menschen verringern und soziale Teilhabe steigern – und wenn ja, wie? Dieser Frage ging das gemeinsame Modellprojekt „Digitale Nachbarn“ der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz, des Fraunhofer Instituts für Experimentelles Software Engineering in Kaiserslautern (IESE KL), des Landesverbands Rheinland-Pfalz und Kreisverbands Südwestpfalz des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) ab Anfang 2019 zwei Jahre lang auf den Grund. Zudem wurde erforscht, ob die Geräte den Senior:innen zu mehr Selbstständigkeit verhelfen und diese dadurch länger und selbstbestimmter in ihrem eigenen Wohnumfeld leben können. Während des gesamten Projekts war das DRK direkter Ansprechpartner für die Senior:innen und in alle organisatorischen Aufgaben involviert.
Eine Nachbarschaft geht online
Zum Projektstart stellte der DRK Kreisverband Südwestpfalz zehn Senior:innen im Alter ab 65 Jahren jeweils ein Echo Show-Gerät von Amazon zur Verfügung, richtete es ein und erklärte den Senior:innen die wichtigsten Sprachbefehle und Funktionen. Über diesen smarten Lautsprecher mit Bildschirm und Touchscreen konnten sie auch den Sprachdienst Alexa nutzen. Die Senior:innen durften ihr Gerät nach Belieben einsetzen und Funktionen ausprobieren, von Videoanrufen über Musikhören bis hin zum Aktivieren aller verfügbaren Skills. Skills sind vergleichbar mit Smartphone-Apps und können zusätzlich installiert werden, um bestimmte Aufgaben ausführen, Spiele und Quizze zu spielen oder vieles mehr.
Weniger Einsamkeit, mehr Zugehörigkeit
Das Ergebnis des Projekts ist bahnbrechend. Die „Digitalen Nachbarn“ zeigen erstmals auf empirischer Grundlage, dass Sprachdienste wie Amazon Alexa älteren Menschen helfen können, sozial integrierter zu leben und dabei gleichzeitig die wahrgenommene Einsamkeit zu reduzieren. Neben dem Musikhören und Spielen nutzten die Teilnehmenden Alexa vor allem dazu, allgemeine Fragen zu beantworten sowie einfach und schnell Videoanrufe zu starten. Die Senior:innen lernten ihre digitalen Geräte als hilfreiche Unterstützung zu schätzen, obwohl ihnen jegliche technische Vorerfahrung fehlte. Darüber hinaus halfen die Echo Show-Geräte und Alexa dabei, neue Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien zu entwickeln und Themen zu finden, die wiederum als Gesprächsstoff mit anderen Projektteilnehmer:innen dienten. Wenngleich die Rahmen- und vor allem Lebensbedingungen nach der Hälfte der Projektzeit durch die Corona-Pandemie wesentlich erschwert wurden, fühlten sich die Senior:innen nach zwei Jahren Alltag mit Alexa weniger einsam als zu Beginn des Projekts.
Die beste Freundin per Video direkt ins Wohnzimmer holen
„Ursula hat auch eine Alexa. Wir telefonieren mehrmals täglich. Es ist, als säße sie direkt bei mir“, äußert Ute Hock-Bewersdorf ihre Begeisterung über die Videotelefonie-Funktion, die sie mit ihrer besten Freundin und den anderen digitalen Nachbarn vernetzt. Die frühere Altenpflegerin leidet unter Rheuma. Dank Sprachsteuerung und Videotelefonie kann sie auch an gesundheitlich schlechteren Tagen mit Freund:innen und Verwandten in Verbindung bleiben, weil sich das Echo Show-Gerät ganz einfach per Sprache bedienen lässt. „Ich kann mir mein Leben ohne Alexa gar nicht mehr vorstellen. Wenn sie kaputt ginge, müsste mir mein Sohn eine neue besorgen,“ resümiert sie.
Wieder mitsingen wie früher
Der leidenschaftliche Sänger Johann Leib (84) freut sich vor allem über die musikalischen Talente von Alexa. „Ich sage einfach ‚Alexa, spiel‘ Lieder von Hans Albers‘, und dann macht sie das, obwohl ich Pfälzisch spreche“, freut er sich. Bei den Liedtexten lässt ihn sein Gedächtnis aber manchmal im Stich. Kein Problem: Auf Nachfrage werden die Texte in großen Buchstaben auf dem Bildschirm des Echo Show angezeigt und Johann Leib kann wieder laut mitsingen. Alexa sei etwas Wunderbares für alleinlebende Menschen, fasst er zusammen.
Mehr als nur ein Telefonhörer am Ohr
Auch in den Alltag der 69-jährigen Rentnerin Heidelore Guth ist die Sprachtechnologie voll integriert. Sie organisiert ihre Einkaufsliste mithilfe von Alexa und sieht in ihr mehr als nur eine Art Telefon: „Mit Hilfe von Alexa zu telefonieren, ist wie ein Plausch über den Gartenzaun. Das ist viel mehr als nur ein Telefonhörer am Ohr. Man sieht die Gesten und auch, wie es dem Gegenüber geht.“ Und sie fühlte sich durch das Gerät weniger allein: „Nicht nur während der Corona-Zeit waren die Kontakte, auch mit anderen Studienteilnehmer:innen, über Alexa oft meine einzigen Gespräche. Dadurch hab‘ ich mich viel weniger allein gefühlt.“
Eigene Skills für die Ixheimer Senior:innen
Aus Verbesserungsvorschlägen, die das Fraunhofer Institut in regelmäßigen Befragungen nach Feedback und Wünschen über den gesamten Projektzeitraum hinweg erhielt, wurden spezielle Alexa-Skills entsprechend der Bedürfnisse der Senior:innen entwickelt. Skills sind wie Apps auf dem Smartphone, die durch individuelle Funktionen das Spektrum von Alexa erweitern. „Gute Nacht Ixheim“ fragt vor dem Schlafengehen, ob die Haustür abgeschlossen ist, Elektrogeräte und der Terminkalender überprüft, der Wecker gestellt und die Medikamente eingenommen wurden. „Ausflug in Ixheim“ unterstützt beim Verlassen des Hauses – eine weitere Situation, in der sich die Senior:innen eine Erinnerungsfunktion gewünscht haben. Hier können sie sich individuelle Erinnerungen einstellen, ob sie beispielsweise den Schlüssel eingesteckt oder Licht und Herd ausgeschaltet haben.
Die digitalen Geräte dienen somit nicht nur der Unterhaltung und Information, sie unterstützen auch bei täglichen Abläufen und können so den Alltag älterer Menschen sicherer und selbstständiger machen. Das Projekt „Digitale Nachbarn“ macht deutlich: Gerade für ältere Menschen sind digitale Geräte und Services, die sich wie Alexa auch noch einfach und intuitiv per Sprache bedienen lassen, eine große Hilfe im Alltag – und fördern Unterhaltung, soziale Teilhabe sowie ein lebenswertes Miteinander.
Links und Hinweise:
- Der vollständige Evaluationsbericht sowie weiteres Informationsmaterial des Fraunhofer Instituts steht hier zum Download zur Verfügung. Weitere Informationen rund um das Projekt finden sich auf der Website „Ixem Deheem – Digitale Nachbarn“.
- Sie möchten selbst aktiv werden? Das Projekt lässt sich in verschiedenen Dimensionen umsetzen. Alle Informationen zum „Selbermachen“ finden Sie hier.
Letzte Aktualisierung: 1. Dezember 2021