Erinnern als Therapie
“Kamera läuft. Ja bitte!” Zum vierten Mal geht Fritz Pechovsky auf das große Kreuz im Soldaten- Friedhof Niederbronn, Elsass zu, vorbei an den Gräbern von 15.000 gefallenen Soldaten. Im Auftrag des Vereins “Freunde alter Menschen e.V.” entsteht die Dokumentation “Fritz – ein Leben”.
Momentaufnahmen, Stationen eines Lebens, Bilder die sich zu einem Mosaik formen, zu einem Lebenslauf, der für viele aus der heutigen Generation wie ein Buch aus fernen, längst vergangenen Zeiten wirken mag. 90 Jahre Leben, verteilt auf zwei Jahrhunderte. 90 Jahre Leben in unruhigen Zeiten mit Diktatur, Krieg, Vertreibung, Neuanfang. Der 90-jährige Fritz Pechovsky aus Ettlingen lässt sein Leben und sein Jahrhundert Revue passieren. In Gesprächen mit der Psychotherapeutin Gabriele Knauf aus Landau fragt er sich, welche Szenen und welche Rollen er in seinem Lebensstück gut gespielt hat. Anschaulich und lebendig berichtet er von Kindheit und Jugend, von Kultur und Nationalismus im Brünn der Dreißiger Jahre, von Krieg und Vertreibung, vom Familienleben im Deutschland der Nachkriegszeit, vom Geschäftsmann und Kabarettisten in Ettlingen. “Zwischen den Zeilen” wird deutlich, wie Fritz mit Mut und positivem Denken, aber auch ein bisschen mit der Schlitzohrigkeit seines Landsmannes des braven Soldaten Schweik seinen Weg findet.
Die Dokumentation zeigt, wie das Erinnern von Höhen und Tiefen, von Erfolgen und Enttäuschungen und das Gespräch darüber belebt, Energien freisetzt und das Selbstvertrauen stärkt. Ein Prozess, der vom Protagonisten wie eine Art Therapie erlebt wird: “Die Erinnerung ist für einen alten Menschen etwas Großartiges. Das Alter ist auf einmal keine Last mehr, sondern ein Kapital. … Die Wunden sind super vernarbt – im Gegenteil – manche dieser Narben machen mich attraktiver. lch bin ein Greis, aber ich bin in der Lage das Beste daraus zu machen. Mein Leben war und ist noch lebenswert.” Die Erinnerungen von Fritz Pechovsky machen Mut, sich offensiv mit dem eigenen Leben auseinanderzusetzen und so Identität und Trost im Alter zu finden. Angehörige und Betreuer von Senioren motiviert der Film, alten Menschen zuzuhören.
“Fritz – ein Leben” ist auch ein zeitgeschichtliches Dokument mit überraschend aktuellen Bezügen. So sind z.B. die Erzählungen über den Nationalismus in der tschechischen Republik der Dreißiger Jahre, über Rassismus sowie die Lebenswelten der Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem 2. Weltkrieg Appelle für Menschlichkeit und erinnern in der hitzigen Debatte über Flüchtlinge in Europa daran, wie wichtig der Weg zueinander ist.
Der Film von Gabriele und Werner Knauf aus Landau kam beim der Premiere Ettlingen an und erhielt gute Kritiken. Jetzt ist er kostenlos im Internet (Vimeo Fritz ein Leben) zu sehen und kann für nicht kommerzielle Nutzung dort auch heruntergeladen werden.
Informationen zum Projekt:
Träger: Freunde alter Menschen e.V.
Schirmherr: Oberbürgermeister Johannes Arnold, Ettlingen
Förderer: Storch & Beller, – und Orthopädietechnik, Karlsruhe,
Protagonist: Fritz Pechovsky, Ettlingen
Produktion: Gabriele & Werner Knauf, Landau; Jochem Paul, Landau
Internet: Vimeo Fritz – ein Leben
Weiteres Projekt: Memoro – Bank der Erinnerungen
Der Ansatz des „Projektes Memoro – Bank der Erinnerungen“ ist eine soziale Intervention, um sich mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzen – ähnlich wie Beiträge in einem Erzähl-Cafe-und im Alter Identität zu stärken und etwas „Frieden“ und vielleicht auch Trost zu finden. Dieses Projekt kann auch im Zuge der Seniorenarbeit nützlich sein.
Zum Memoro-Projekt
Letzte Aktualisierung: 8. März 2017