Durch digitale Kulturveranstaltungen Teilhabe erhöhen

Viele ältere Menschen können nur noch wenig oder gar nicht am kulturellen Leben teilhaben – sei es aufgrund von Mobilitätseinschränkungen oder anderen Erkrankungen. Die Corona-Pandemie hat die Teilhabemöglichkeiten noch weiter beschränkt. Hier möchte die Initiative „Die Gute Stunde“ neue Wege gehen und bringt Kulturerlebnisse digital und direkt zu älteren Menschen nach Hause und in Senioreneinrichtungen. Wir haben mit Mitgründerin Dorothea Lemme über das Projekt und seine Entstehung gesprochen.

1. Das Format „Die Gute Stunde“ gibt es seit Anfang 2021, ursprünglich noch unter dem Titel huma_K. Wie kam es zu der Idee digitale Kulturveranstaltungen für ältere Menschen anzubieten?

„Die Gute Stunde“ ist ein Projekt der humaQ gGmbH aus Wiesbaden. Das gemeinnützige Unternehmen beschäftigt sich mit nachhaltigen Quartierslösungen, bei denen Soziales, Gesundheit, Pflege oder eben auch Kultur miteinander gedacht werden. So kam Ende 2020, mitten in der Corona-Pandemie, die Frage auf, wie wir Kulturangebote im Quartier und darüber hinaus entwickeln können, die sowohl ältere Menschen zuhause als auch in Pflegeeinrichtungen erreichen. Kulturveranstaltungen, die auch einen Austausch mit anderen Senior:innen und Kulturschaffenden möglich machen, die aufgrund von mangelnden Verdienstmöglichkeiten sehr stark von der Pandemie betroffen waren. Nach mehreren Monaten Findungsphase haben wir im Frühling 2021 die erste Veranstaltungsreihe gestartet, gemeinsam mit einer Senioreneinrichtung in Wiesbaden (EVIM) und mit Künstler:innen aus Wiesbaden und Berlin.

2. Was hat es mit dem Namen „Die Gute Stunde“ auf sich und wie muss man sich das Kulturangebot ganz konkret vorstellen?

Zwei ältere Menschen vor einem Tablet
Eine digitale Begleiterin schaut „Die Gute Stunde“ gemeinsam mit einer Senior:in, Foto: EVIM Wiesbaden

Wie der Name schon sagt, dauern die Kulturveranstaltungen in der Regel eine Stunde und finden zielgruppengerecht immer nachmittags statt. Die allererste Lesung mit Gedichten von Heinz Erhardt und Erich Kästner hatte den Titel „Die Gute Stunde“. Das fanden wir so gut, dass wir gedacht haben, den Namen nehmen wir.

Die Veranstaltungen finden immer über Zoom statt und sind kostenfrei. Den Einwahllink erhalten alle angemeldeten Teilnehmer vorab per E-Mail. Bereits eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn öffnen wir das „digitale Foyer“, um technische Fragen zu klären oder um einfach über das Wetter zu sprechen. Alle unsere Veranstaltungen enthalten immer interaktive Elemente, das ist unser Anspruch. Es geht nie um Berieselung mit Kultur, sondern darum, miteinander in den Dialog zu treten. So gibt es zum Beispiel eine Lesung mit einem Mitmachgedicht oder ein Konzert, bei dem das Publikum bereits im Vorfeld Wünsche äußern darf und dann während der Veranstaltung darauf eingegangen wird. Dadurch entstehen schöne Begegnungen und biografische Gespräche. Wir haben bisher u. a. Museumsführungen, einen Kunstworkshop, eine interaktive Chorprobe, Lesungen und eine Filmvorführung angeboten. Und wir sind stetig dabei, neue Formate und Ideen umzusetzen.

3.  Wie werden die Kulturveranstaltungen angenommen?

Wir haben am Anfang gemeinsam mit unserer Partnereinrichtung in Wiesbaden versucht, vor Ort ältere Menschen für unsere Veranstaltungen zu gewinnen. Einige waren sofort begeistert, andere brauchten gutes Zureden und die Unterstützung der Betreuungspersonen vor Ort. Es war aber sehr schnell klar, dass das Publikum natürlich von überall dazu kommen kann und so durften wir bei den ersten Veranstaltungen bereits Menschen aus Hamburg, Greifswald, Berlin oder sogar Stockholm begrüßen. Mittlerweile haben wir schon 20 Veranstaltungen durchgeführt, mit über 500 Senior:innen. Die Teilnehmer:innen erreichen wir zuhause oder über Betreuungsdienste, Tagespflegen und andere Senior:inneneinrichtungen.

4.  Was wollt ihr mit „Die Gute Stunde“ bewirken?

Das Ziel unseres Projekts ist es, längerfristig die kulturelle und soziale Teilhabe älterer Menschen zu stärken. Und die digitale Kompetenz. Die Digitalisierung ist ein schnell fortschreitender Prozess, der viele Veränderungen und Anpassungsleistungen fordert. Viele ältere Menschen verfügen über keine oder sehr geringe digitale Teilhabe und die Barrieren sind nach wie vor hoch, wie u. a. der Achte Altersbericht der Bundesregierung aufzeigt. Denn nicht nur die Corona-Pandemie hat bewusst gemacht, wie wichtig das Digitale sein kann, um in Kontakt mit der Familie zu sein und Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Mit unserem Projekt wollen wir durch Kultur die intrinsische Motivation stärken, sich mit digitalen Medien und Technik auseinander zu setzen.

Darüber hinaus wollen wir durch das gemeinschaftliche Kulturerleben Lebensfreude bringen und Einsamkeit verringern. Der wertschätzende Austausch mit der Zielgruppe als Gesprächspartner:innen, Erfahrungsgeber:innen, Impulsgeber:innen ist unser Anspruch. Davon profitieren alle Beteiligten – Kulturschaffende wie Publikum. „Die Gute Stunde“ soll ein fester Bestandteil in der Kulturlandschaft werden und ein Baustein in der individuellen kulturellen „Versorgung“ älterer Menschen. Wir planen die Entwicklung weiterer Veranstaltungsformate und wünschen uns eine Verstetigung des Angebots.

5.     Eure Veranstaltungen finden immer digital statt. Welche Herausforderungen gibt es bei eurem Projekt?

Autor Felix Römer
Autor Felix Römer bei einer Lesung, Foto: Die Gute Stunde

Ein großes Problem ist auf jeden Fall die technische Ausstattung der Senior:innen, ob zu Hause oder in Senioreneinrichtungen. Es gibt häufig kein W-LAN und keine technischen Geräte, um unser Angebot zu nutzen. Da gibt es noch viel zu tun. Daher kooperieren wir mit Seniorentablet-Herstellern und versuchen internetfähige Tablets für eine gewisse Zeit kostenfrei zur Verfügung zu stellen. In unserer Erfahrung ist die Zielgruppe aber so divers wie jede andere. Wir haben ältere Menschen, die sehr fit sind im Umgang mit technischen Geräten und dann erleben wir viele, die in diesem Bereich eher zaghaft und ungeübt sind. Daher unterstützen wir innerhalb unseres Projektes den digitalen Kompetenzerwerb, wo es möglich ist, durch digitale Begleiter:innen. Diese digitalen Begleiter:Innen helfen bei der Nutzung von Tablets, Computern, Zoom und Co. Und neben der technischen Vermittlung ergibt sich ein wichtiger sozialer Austausch zwischen Lots:in und Senior:in. Bei vielen Teilnehmer:innen konnte man nach ein paar Veranstaltungen feststellen, dass sie keine technische Begleitung mehr benötigen. Das ist schön zu erleben.

6.     Abschließend die Frage, wo Interessierte weitere Informationen finden und wie sie sich anmelden können für eure Veranstaltungen.

Das ist Doroteha-Lemme
Dorothea Lemme, Foto: Helene Altenstein

Auf unserer Website (bald www.diegutestunde.org) finden Interessierte immer die aktuellen Veranstaltungen und ein einfaches Anmeldefenster für die Anmeldung per E-Mail unter gutestunde@humaq.org. Nach der Anmeldung erhalten sie den entsprechenden Zoom-Einwahllink und weitere Informationen als Einstimmung auf die jeweilige Veranstaltung.

Kontakt: Dorothea Lemme, Die Gute Stunde / humaQ, Mitgründerin und Projektleiterin, lemme@humaq.de

 

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