Der Nachbarschaftsring Öcher Frönnde ist ein Netzwerk von Bürgern, die sich gegenseitig helfen. Er ist eine Form der modernen Nachbarschaftshilfe, in der Selbsthilfe und Solidarität im Vordergrund stehen. Der Nachbarschaftsring stellt eine Zwischenstufe zwischen ehrenamtlicher Tätigkeit und dem Dienstleistungsaustausch dar. Wer in aktiven Zeiten Stunden einbringt und anspart, kann diese Hilfestunden in „schlechten Zeiten“, bei Krankheit oder im Alter abrufen. Der Verein Öcher Frönndewurde imSeptember 2004 gegründet. Gabi Klein, Forum Seniorenarbeit NRW, im Gespräch mit Monika Lang, Vorsitzende der Öcher Frönnde.
Frau Lang, welche Dienstleistungen werden bei Ihnen größtenteils angeboten?
Wir haben 25 Angebotseinheiten für alles, was in einer funktionierenden Nachbarschaft notwendig ist: Einkaufen, Botengänge, Besuche, Blumengießen etc. pp.
Wer nimmt die Dienstleistungen in Anspruch?
Wir haben 160 Mitglieder, davon sind 60 Personen aktiv, d.h., sie haben zurzeit mindestens ein Angebot in unserer Datenbank. Die passiven Mitglieder haben momentan keine Zeit für ein Angebot oder sie sind inzwischen weniger Hilfegebende als Hilfeempfänger. Unsere Gründungsmitglieder gehen inzwischen ja auch auf die 70 zu und einige wechseln schon die Seiten.
Unsere neuen Mitglieder sind meist um die 50, sie kommen oft beim Übergang in den Ruhestand oder wenn die Kinder aus dem Haus sind.
Die meisten Mitglieder der Öcher Frönnde sind weiblich, wir haben nur ungefähr 10 Prozent Männer. Der soziale Bereich scheint immer noch den Frauen vorbehalten zu sein. Allerdings haben wir mehrere männliche Mitglieder, die noch berufstätig sind und uns als Steuerberater, EDV-Fachmann, Versicherungsfachmann, Berater in Sachen Vereinsrecht und in der Öffentlichkeitsarbeit tatkräftig ehrenamtlich unterstützen.
Einige Mitglieder kommen auch zu uns wenn sie arbeitslos geworden sind. Diese sind häufiger etwas jünger und suchen in Zeiten der Arbeitslosigkeit eine sinnvolle Tätigkeit. Das Engagement bei uns ist für einige schon hilfreich beim Wiedereintritt in das Berufsleben gewesen. Wir sind berechtigt, den Ehrenamtsnachweis des Landes Nordrhein-Westfalen auszustellen, zumindest in einem Fall ist dieser mitentscheidend für eine Einstellung gewesen, die zu einer unbefristeten Stelle geführt hat.
Unsere Dienstleistungen können ausschließlich bedürftige Menschen in Anspruch nehmen – also Ältere ab 65 Jahren, Kranke und Menschen mit einer Behinderung. Sie erhalten gegen den eher symbolischen Preis von zwei Euro pro Stunde die Hilfe. Allerdings ist es uns ein Anliegen, diejenigen, die uns um Unterstützung bitten, schnell dazu zu bringen, selber Hilfe zu leisten. Es ist viel möglich: So ist z.B. eine Frau Mitglied, die nach einer Herztransplantation viel Zeit im Krankenhaus verbringen musste. Diese nutzte sie, um Grußkarten für die Öcher Frönnde zu basteln und an die Geburtstagskinder im Verein zu versenden. So konnte sie ihr Zeitguthaben auch während der Krankheit auffüllen. Auch ein gehbehindertes Mitglied kann andere Mitglieder anrufen und Besserungswünsche mitteilen.
Die Aktivitäten können regelmäßig erfolgen oder sind Einzeleinsätze. Zu einem sehbehinderten Mitglied z.B. kommt regelmäßig ein Vorleser, ein anderes Mitglied geht mit ihr regelmäßig schwimmen. Andere Tätigkeiten werden nur einmalig durchgeführt wie z.B. eine Begleitung zu einer Untersuchung im Krankenhaus oder eine einmalige Unterstützung bei der Hausarbeit nach einem Krankenhausaufenthalt.
Vermittelt werden die Dienstleistungen über unser Büro. Da wir nur Menschen in Not helfen, möchten wir es diesen so leicht wie möglich machen, Unterstützung zu bekommen. D.h., sie melden sich im Büro und wir erledigen die teilweise mehreren Anrufe, um den passenden Tauschpartner zu finden.
Wir geben den Mitgliedern die Möglichkeit sich bei Freizeitaktivitäten kennen zu lernen. So erweitern sie ihre sozialen Kontakte, die sie bis ins hohe Alter pflegen und damit gegen Einsamkeit im Alter vorsorgen können.
Dafür bieten wir Treffen, gemeinsames Kochen, Feste und Ausflüge an. Allerdings finden diese Angebote nicht so regelmäßig statt, dass damit alle Bedürfnisse abgedeckt werden. Bei Nachfragen nach häufigeren Treffen ermuntern wir unsere Mitglieder sich untereinander zu verabreden, gemeinsam in kleinen Gruppen zu kochen oder Karten zu spielen, spazieren zu gehen und sich zu Hause zu besuchen. So sind schon viele neue Freundschaften entstanden und wir haben neue Nachbarschaften angestiftet.
Muss man für den Empfang von Hilfe Mitglied sein?
Ja, man muss Mitglied sein, um die Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Das ist schon wegen der Versicherungen Voraussetzung.
Können die Leistungen auch käuflich erworben werden?
Eine Stunde Unterstützung kostet der bzw. dem Empfänger/-in 2€, die an die Öcher Frönnde e.V. gehen. Dem /der Hilfeleistende/-n wird die Zeit auf ein Zeitkonto gutgeschrieben.
Wie funktioniert der Tausch?
Die Einsatzzeit einschließlich der Wegezeit wird auf ein Zeitkonto gutgeschrieben.
Wie lange behält das Zeitkonto seine Gültigkeit?
Unbefristet, bis zum Tod. Das Guthaben wird zwar nicht vererbt. Allerdings kann innerhalb einer Familie das Guthaben verschoben werden. So kann z.B. eine berufstätige Tochter ihr Zeitguthaben, das sie in den Abendstunden erworben hat, verwenden, um tagsüber eine Begleitung zum Arzt für die Mutter zu bestellen.
Darf ein bestimmtes Guthaben nicht überschritten werden?
Nein, die Höhe ist unbegrenzt, unser Anliegen ist ja die Absicherung im Alter, für die man ansparen können muss. Damit unterscheiden wir uns von Tauschringen, bei denen das Guthaben oft begrenzt ist und schnell wieder ausgegeben werden soll, um den Tausch lebendig zu halten. Wir sehen uns als eine sinnvolle Ergänzung zu unserem lokalen Tauschring „Öcher Talente“. Einige unserer Mitglieder sind deshalb Mitgliedin beiden Vereinen.
Wir haben uns sehr bewusst gegen die Variante entschieden, dass die geleisteten Stunden durch ein Honorar ausgezahlt werden können. Wir wollen nicht in den Niedriglohnsektor gehen, die Gefahr ist bei einer Vergütung immer gegeben.
Erhalten Sie Unterstützung durch die Kommune?
Nein. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, wir wollen unabhängig und selbstbestimmt bleiben.
Erhalten Sie Unterstützung durch Hauptamtliche?
Nein, wir wollen nicht riskieren, dass durch Wegfall der Finanzierung von Hauptamtlichen der Bestand des Vereins gefährdet wird. Deshalb haben wir den Verein von vorne herein als rein ehrenamtliches Engagement aufgebaut.
Erhalten Sie anderweitige Unterstützung?
Ja. Die erste Säule unserer Finanzierung sind Mitgliedsbeiträge von mindestens einem Euro im Monat. Wir halten den Beitrag so niedrig, damit wirklich jeder mitmachen kann. Uns ist es wichtig, Hilfe zu leisten. Unser Angebot, den Mitgliedsbeitrag freiwillig zu erhöhen, nehmen viele aber schon bei ihrer Anmeldung an.
Die zweite Säule sind Zeit-, Sach-, und Geldspenden unserer Mitglieder und von Dritten, z. B. Banken und Unternehmen.
Dritte und aktuell für uns wichtige Säule sind Preisgelder. 2012 haben wir einen Preis von 500 Euro für soziale Nachhaltigkeit bei„NRW denkt nach(haltig)“ und 2013 ebenfalls 500 Euro für den Ehrenamtspreis der Stadt Aachen erhalten. Den höchsten Preisgewinn erhielten wir 2009 im Wettbewerb „Das Hilfreiche Alter hilfreicher machen“ der Stiftung ProAlter für den 1. Preis mit einem Preisgeld von 10.000 Euro.
Frau Lang, es gibt keine finanzielle Entschädigung. Das Zeitkonto beruht auf Vertrauen – Wie motivieren und anerkennen Sie das Engagement der Aktiven?
Wir haben viele unterschiedliche Formen der Anerkennung: Wir laden zu gemeinsamen Freizeitgestaltung wie z.B. Ausflüge oder Sommerfeste ein, wir berichten über unsere und damit die Arbeit der Mitglieder in den Medien, wir stellen für unsere Ehrenamtlichen den Engagementnachweis des Landes Nordrhein-Westfalen aus und wir beantragen für Mitglieder, die seit mindestens fünf Jahr bei uns aktiv sind, die Ehrenamtskarte der Stadt Aachen, mit dieser erhalten sie Vergünstigungen z.B. im Theater, in den Schwimmbädern und der Stadtbibliothek.
Die Mitglieder können auf Kosten des Vereins nach Rücksprache gewünschte Fortbildungen belegen. Außerdem bieten wir regelmäßig Fortbildungen an und übernehmen auch hier die Kosten für die aktiven Mitglieder, aktuell z.B. in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule den Kurs „Grenzen setzen – Nein sagen ohne Schuldgefühle“.
Hervorheben möchte ich noch eine andere Art der Anerkennung, von der nicht nur unsere passiven Mitglieder profitieren: Wir organisieren Gemeinschaft und verbinden die Mitglieder mit einander. So langte wie möglich zu Hause bleiben ist ja schön und gut – aber es kann auch sehr einsam werden. Es gibt nicht nur die wirtschaftliche Armut im Alter, sondern auch die soziale. Eins unserer Mitglieder sagte einmal: „Früher konnte ich nur noch meinen Arzt und meinen Apotheker zum Geburtstag einladen, heute ist die Bude voll.
Sind die Engagierten haft- und unfallversichert?
Es besteht jeweils Haftpflicht -, Unfall- und Dienstreisevollkaskoversicherung.
Was war für Sie die größte Herausforderung in Bezug auf die Seniorengenossenschaften?
Der Start des Vereins war nur möglich durch Einsatz von eigenen privaten finanziellen Mitteln. Für selbstbestimmtes Engagement gibt es keine Fördermittel.
Die Zugangshürden im städtischen „Welthaus“ für unsere körperlich eingeschränkten Mitglieder! Mit dem Preisgeld des ProAlter – Wettbewerbs haben wir zwar unsere Räume im Erdgeschoss des Welthaus Aachen barrierefrei umbauen können. Bei größeren Veranstaltungen in unserem Seminarraum in der 1. Etage oder unserer Aula im 2. Stock müssten wir viele Mitglieder ausschließen. So sind wir ständig auf der Suche nach
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Neben der Barrierefreiheit des Welthauses wünschen wir uns viele neue, jüngere Mitglieder. Damit würde die Inanspruchnahme unserer angesparten Zeitrente sichergestellt.
Frau Lang, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Gespräch führte Gabi Klein, Forum Seniorenarbeit NRW, im Juli 2013
KONTAKT
Öcher Frönnde – Aachener Nachbarschaftsring
Monika Lang
Telefon: 0241-889 14 29
oecher-froennde@web.de
An der Schanz 1
52064 Aachen
Letzte Aktualisierung: 21. April 2015