Bericht zum digitalen Fachtag des Forum Seniorenarbeit NRW 2025: Vielfalt des Alter(n)s in der Senior:innenarbeit – Wie kann es vor Ort gelingen?!

Am vergangenen Dienstag, dem 18.03.2025 hat der erste digitale Fachtag des Forum Seniorenarbeit NRW unter dem Titel: „Vielfalt des Alter(n)s in der Senior:innenarbeit – Wie kann es vor Ort gelingen?!“ mit einem Grußwort von Thomas Hauberichs (Ministerium für Arbeit Gesundheit und Soziales NRW) statt gefunden. 

Nach einer Einführung in das Projektthema des Forum Seniorenarbeit NRW von Christine Freymuth und Dr. Katrin Alert (Forum Seniorenarbeit NRW) startete anschließend der Impulsvortrag von Prof. Dr. Susanne Kümpers (Hochschule Fulda) mit dem Titel: „Gesundheit für wen? Vielfalt, Zugänglichkeit und soziale Ungleichheiten im Sozialraum“. Darin beleuchtete sie v.a. die Heterogenität der Lebensphase Alter mit einem Fokus auf aktuelle gesundheitliche Ungleichheiten resultierend aus unterschiedlichen Lebenslagen.  

In der Vorstellung des Projekts „Gesunde Stadtteile für Ältere Age4Health“ (2015-2021) ging sie anschließend auf Hürden für gesundheitlich benachteiligte (ältere) Menschen bei der Erreichbarkeit und Inanspruchnahme von Angeboten ein.  Damit wurde die Thematik eingeführt, die auch im Verlauf der folgenden Beiträge an vielen Stellen erneut auftauchte: Zugangsbarrieren überwinden bzw. abbauen

Prof. Dr. Kümpers zieht v.a. folgende Entschlüsse aus dem Projekt:  

  • Zielgruppen- und milieuspezifische Ansprachestrategien sind nötig, Passungsverhältnisse zwischen Teilhabemöglichkeit und Adressat:innen müssen wiederkehrend reflektiert werden  
  • Dort ansetzen, wo (mitwirkenden) Menschen Bedarf äußern und bereits bestehende Strukturen ausbauen bzw. diese mit einbinden beim Aufbau neuer Angebote 
  • Regelmäßige Runde Tische 
  • Einbindung multiplizierender und thematisch zuständiger Verwaltungsebene(n), z.B. Altenhilfereferent:innen des Sozialamtes, und den Akteur:innen vor Ort 
  • Öffentlich und kostenlos nutzbare Räumlichkeiten als Treffpunkte sind zentral 

Im ersten Beitrag im Rahmen der Gelungenen Praxis ging Britta Bertermann (Geschäftsführerin Generationennetz Gelsenkirchen e.V.) auf den strukturell umfassenden Ansatz der Arbeit in der Altenhilfe des Generationennetzes Gelsenkirchen ein. Als Netzwerk nahezu aller Akteur:innen im Bereich des Alter(n)s in Gelsenkirchen schafft das Generationennetz eine Beratungsstruktur aus einer Hand, nutzt Synergien und vermeidet somit Doppelstrukturen. Dabei wird gezielt auf die Vernetzung und Qualifikation von ehrenamtlich Engagierten gesetzt, die sowohl gesamtstädtisch als auch quartiersbezogen tätig sind. Dazu gehören u.a.: Nachbarschaftsstifter:innen, Technikbotschafter:innen und Rikschapilot:innen. Die Qualifizierung der engagierten Personen erfolgt dabei besonders durch die Multiplikation des Wissens aus dem Netzwerk heraus. Auch bei den quartiersbezogen tätigen Nachbarschaftstifter:innen ist es gelungen, Menschen mit Migrationsgeschichte anzusprechen und einzubinden. Das Generationennetz fasst die Ansprache diverserer Zielgruppen als fortlaufenden und damit dynamischen Prozess und Aufgabe auf. 

In der zweiten Programmhälfte stellten Andrea Kratz (Projektleitung Nachbarschaftstreff, fauna e.V.) und Irene Krebs (Vorstand fauna e.V.) den offenen Ansatz der freien Alten- und Nachbarschaftshilfe Aachen (fauna e.V.) vor, der sich aus einer ambulanten Tagespflege sowie nachbarschaftsgestaltenden Angeboten zusammensetzt. Nutzer:innen der Angebote machen dabei einen bunten Mix aus Personen des Pflege- und Quartiersbereichs aus, wie man v.a. in der Sportdemenz- und der Brunch-Gruppe feststellen kann. Die vielfältige Zusammensetzung und Ansprache von Personengruppen, zu denen ein Zugang sonst erschwert ist, hat im Rahmen des fauna e.V.-Projekts „El Ele – Hand in Hand“ (2020-2022) v.a. durch die Identifikation und Einbindung von Schlüsselpersonen jeweiliger Zielgruppen-Communities funktioniert.  

Dr. Inka Wilhelm (freiberufliche Referentin für LGBTIQ* und Alter/Pflege, Kriegstraumatisierung und Pflege) und Andreas Kringe (rubicon e.V.) setzten anschließend den Schwerpunkt in ihren Vorträgen auf ältere LSBT*I*Q-Personen. Einführend ging Inka Wilhelm zunächst grundlegend auf die parallel bestehenden heterogenen Lebenslagen und einenden Lebenserfahrungen älterer LSBT*I*Q-Personen ein. So bringe jede:r einen individuellen biographischen Rucksack mit. Der Bedarf an besonderen Angeboten für queere ältere Menschen wird im Hinblick auf z.B. strukturelle Diskriminierungssituationen im Pflegealltag durch geschlechtlich binär kodierte Verwaltungsvorgänge verdeutlicht. Diese können die Inanspruchnahme institutionalisierter Dienstleistungsangebote für LSBT*I*Q-Menschen erschweren. Sowohl auf struktureller als auch auf personeller Ebene gibt es jedoch bereits niedrigschwellige Handlungsmöglichkeiten, wie die Ernennung konkreter und sensibilisierter Ansprechpersonen für ältere LSBT*I*Q-Personen in Institutionen. Andreas Kringe knüpft daran mit dem Besuchsdienst für ältere LSBT*I*Q-Personen des rubicon e.V. an und verdeutlicht, wie wichtig der Kontakt und Beistand sensibilisierter Personen mit ähnlichen Erfahrungen ist. Beide empfehlen dafür v.a. den Zertifizierungsprozess Qualitätssiegel „Lebensort Vielfalt“ für institutionelle Alten- und Pflegeeinrichtungen von der Schwulen Beratung Berlin für einen angeleiteten Sensibilisierungsprozess. 

Im Anschluss an eine kurze Pause stellte Sandrin Gaedi das Projekt „Kultursensible Altenhilfe und Altenpflege für Senior:innen mit Einwanderungsgeschichte des Bielefelder Netzwerkes der Migrantenorganisationen e.V. (BINEMO) vor. In direkter Zusammenarbeit mit Schlüsselpersonen aus 14 Vereinen und Netzwerken diverser Communities für und von Menschen mit unterschiedlichen Migrationsgeschichten aus Bielefeld werden Personengruppen, die darüber hinaus schwer für (institutionalisierte Beratungs-)Angebote zu erreichen sind, in ihrer Muttersprache angesprochen. Vernetzende Treffen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Communities mit und ohne Migrationsgeschichte fördern dabei den mitunter multilingualen und interkulturellen Austausch der Senior:innen. Um die Reichweite der angesprochenen Personen und den Kenntnisstand in Bezug auf vorhandene Angebote und Strukturen zu erweitern, wurde ein Filmprojekt ins Leben gerufen, welches über ein bestehendes Netzwerk von Schlüsselpersonen die vielfältigen (Beratungs-)Angebote der Stadt und Wohlfahrtsverbände in der entsprechenden Muttersprache bekannt macht. 

Weiter ging es mit einem Beitrag von Antonia Zwiener von der ginko Stiftung für Prävention zum Projekt: „Stark bleiben. Suchtfrei alt werden.“. Gerade die Lebensphase „Alter“ kann z.B. mit dem Austritt aus dem erwerbsgeprägten Leben und ggf. entstehenden und medikamentös behandelten gesundheitlichen Problemen das Risiko einer Sucht erhöhen. Das ohnehin schon schambehaftete Thema wird darüber hinaus institutionell eher in der Lebensphase Jugend präventiv durch Information, Aufklärung und Beratung behandelt. Mit kostenlos verfügbaren Infomaterialien und Handreichungen, einem Kommunikations-Tool sowie einem Messe-Info-Stand klären sowohl ehrenamtlich tätige Senior:innen (Peers) als auch hauptamtlich Beschäftigte regelmäßig in unterschiedlichen Settings in NRW über das Thema auf. Den Fokus legt das Projekt dabei weniger auf die negativen Seiten einer entstehenden Sucht, sondern auf neue Anregungen zur gesunden Gestaltung der zweiten Lebenshälfte. 

Im tagesabschließenden Beitrag von Elfriede Fuchs vom FLiP e.V. (FrauenLiebe im Pott) berichtet sie über das nachbarschaftliche Wohnen in der ehem. Krupp-Siedlung Wickenburg im Essener Süden. Die Gruppe besteht aus ca. 10 lesbischen Frauen zwischen 55 und 75 Jahren, die vor zwei Jahren in der Siedlung zusammengefunden haben. Ursprünglich als Hausprojekt angedacht, haben die zwei Gründerinnen schnell gemerkt, dass eine Gemeinschaft nicht unbedingt direkt eine Wohngemeinschaft sein muss, um davon profitieren. Den langen Prozess der Suche eines geeigneten Grundstücks für den Bau eines Gemeinschaftshauses haben sie übersprungen und sind in je eigene Wohnungen in der Wickenburgsiedlung gezogen. So wohnen sie nah beieinander und können sich gegenseitig unterstützen, sei es mal ein Einkauf oder andere notwendige Alltagshilfen. Zudem genießen sie die bereits sehr alten Baumbestände und Grünanlagen dort und die Nähe zum Zentrum 60+, dessen Räumlichkeiten mittlerweile der regelmäßige Treffpunkt für die Jahresprogrammplanung des Vereins und der Austauschtreffen ist.  Dass das gelingt, setzt jedoch bestimmte Netzwerke voraus, betont Elfriede Fuchs. Beziehungen zu Verwaltungsebenen und Akteur:innen im Quartier sind zentral, wenn eine solche Eigeninitiative gelingen soll. Auch die öffentlich zugänglichen und kostenlos nutzbaren Räume des Zentrums 60+ sind eine Voraussetzung für das Gelingen des nachbarschaftlichen Wohnprojekts des Vereins in Essen.  

Das Tagesfazit lautet: Netzwerke und Beziehungen sowie Zeit sind zentrale Gelingensfaktoren für Angebote der Senior:innenarbeit jeglicher Art. 

Ob zielgruppenspezifische Ansprachestrategien für ältere Personen mit Migrationsgeschichte oder ältere LSBT*I*Q-Personen – zentral sind lokale Schlüsselpersonen in den Communities, um einen niedrigschwelligen und hürdenarmen Zugang zu Angeboten zu schaffen. Dabei ist ein sensibler Zugang mit Rücksicht auf den biografischen Rucksack, also die Erfahrungen, die ältere Menschen in ihrem Lebensverlauf gesammelt haben, eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Wirkung. Auch hier gilt es, die Heterogenität und Vielfalt des Alter(n)s nicht nur anzuerkennen, sondern auch aktiv multiperspektivisch und kreativ in der täglichen Arbeit mit einzubeziehen. Die vorgestellten Projekte und Initiativen sind vor diesem Hintergrund gute Beispiele für gelungene Praxis vor Ort und zeigen Wege auf, vielfältige Gruppen älterer Menschen mit Angeboten der Senior:innenarbeit zu erreichen.

Letzte Aktualisierung: 28. März 2025

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