Erfahrungen aus der Arbeit der Landesfachberatung Gleichgeschlechtliche Lebensweisen in der Seniorenarbeit NRW
Vielfalt und Quartiersentwicklung sind Schlüsselbegriffe in der aktuellen Altersdebatte und Seniorenarbeit. Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, die ein selbstbestimmtes Leben in vertrauter Umgebung ermöglichen. Es geht um Gemeinschaft, Teilhabe und um gute Versorgung für den Fall, dass die eigenen Kräfte nicht mehr ausreichen.
Die Fachberatung für Gleichgeschlechtliche Lebensweisen in der Seniorenarbeit NRW, angesiedelt beim rubicon e.V. in Köln, setzt sich seit 2011 für die Einbeziehung lesbisch-schwuler Lebensformen in der Seniorenarbeit ein. Auch die Quartiersentwicklung gehört zum Aufgabenbereich. Gemeinsam mit kommunalen Kooperationspartner*innen und Vertreter*innen der LSBT* Community [1] wird angestrebt, dass Lesben und Schwule die Entwicklung von (Nachbarschafts-)Quartieren mitgestalten.
„Queer im Quartier®“ nennen Carolina Brauckmann und Georg Roth vom Landesfachteam diesen Ansatz, den sie 2013 als Wortmarke eintragen ließen. [2] Idealerweise soll das Konzept in die Qualifizierungen und Ausgestaltungen zur Quartiersentwicklung einfließen.
Lebensweise von älteren Lesben und Schwulen
Viele Lesben und Schwule sind einen sehr autonomen, an der eigenen Community orientierten, oftmals auch städtischen Lebensstil gewohnt. Während Vereins- und Nachbarschaftsstrukturen, Familienleben mit Kindergarten- und Schulkontakten für die heteronormative Mehrheitsgesellschaft eine Rolle im alltäglichen Leben spielen, sind diese Bindungen für die ältere Generation von Lesben und Schwulen weniger relevant. Für sie sind es oftmals die Freundeskreise im Sinne von Wahlverwandtschaften, die ein Gefühl von Heimat und „Aufgehoben sein“ vermitteln. Doch wächst die Einsicht, dass diese regional weit verstreuten Netzwerke und Bezugspersonen nicht ausreichen werden für das Leben im Alter.
Wer wird vor Ort sein bei der Neuorientierung in späteren Lebensphasen, nach Beendigung des Berufslebens, bei Krankheiten, Einschränkungen von Mobilität, vielleicht auch des Lebensstandards? Was verbindet ältere Lesben und Schwule mit ihrem Quartier, wenn sie die Angebote dort kaum genutzt und die Kontakte nicht gepflegt haben, weil es eben nicht ihre Kontakte waren? Wie „open minded“ sind die dort lebenden Menschen? Nicht wenige unterstreichen ihre Offenheit durch die Aussage, sie hätten gar keine Probleme mit Lesben und Schwulen. Um eine tragfähige Verbindung zwischen unterschiedlichen Milieus zu schaffen, braucht es allerdings mehr als wohlmeinende, für die inkriminierte „Problem“gruppe jedoch befremdlich anmutende Statements.
Es muss selbstverständlich werden, nicht-heterosexuell lebende Menschen aktiv einzubeziehen in die Konzepte der Quartiersentwicklung. Dafür steht der Ansatz „Queer im Quartier“, der alle zur Kooperation auffordert: Die organisierte und nicht organisierte LSBT-Community, Kommunalverwaltungen, Träger der Wohlfahrt, Seniorenvertretungen, Dienstleister*innen und natürlich die Menschen in den Quartieren. Gemeinsam mit ihnen entwickelt die Landesfachberatung „erste Bausteine“, je nach Zusammensetzung der Akteur*innen und Bereitschaft der Kommunen.
Queer im Quartier – Leitgedanken
Lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell lebende Menschen
- leben und altern in vertrauter Umgebung
- erleben wahrnehmbare Akzeptanz ihrer Lebensform
- fördern solidarisches und integratives Miteinander
- organisieren sich im Nachbarschafts-Quartier
- sind gestaltender Teil von Generationen übergreifenden Bündnissen
- beteiligen sich an sozialen Aktivitäten
- finden kultursensibel geschulte Versorgungs- und Unterstützungssysteme vor
Um diese Ziele zu erreichen, ist eine Sensibilisierung der Quartiersmanger*innen und anderer Multiplikator*innen für die Biografien und Bedarfe von LSBT* eine Grundvoraussetzung.
Beispiele aus der Praxis
Bochum
In Bochum hat sich die Rosa Strippe e.V. – Beratungszentrum für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*Menschen – seit 2011 an seniorenpolitischen Veränderungsprozessen beteiligt und darauf hingewirkt, dass bei der Ausgestaltung von attraktiven Begegnungsorten im Wohnumfeld auch die sexuelle Orientierung von Menschen zu berücksichtigen ist. Hier konnte die Landesfachberatung anknüpfen. Gemeinsam mit der „Rosa Strippe“ als Kooperationspartnerin wurde im Herbst 2015 einen Werkstatt-Prozess initiiert, an dem Vertrter_innen Bochumer Seniorenbüros und der LSBT-Communiy teilnahmen.
Es geht darum
- Multiplikator_innen für gleichgeschlechtliche Lebensformen zu sensibilisieren
- lesbisches und schwules Leben sichtbar zu machen
- ältere Lesben und Schwule als Zielgruppen zu gewinnen
Hierfür werden Ideen gesammelt, Methoden und Angebote erarbeitet und mögliche Umsetzungsschritte besprochen. Dieser kontinuierliche Austausch ist als zentraler Teil einer queeren, d.h. in diesem Fall lesbisch-schwule Lebensformen berücksichtigenden Quartiersentwicklung zu bewerten.
Wuppertal
Auf Initiative des Wupperpride e.V. und mit Unterstützung der Landesfachberatung (damals noch Landeskoordination) fand im Juni 2013 der erste „Fachaustausch Gleichgeschlechtliche Lebensformen im Alter“ im Elberfelder Rathaus statt. Kontinuierlich beteiligt waren und sind Vertreter*innen vom Ressort Soziales der Stadt Wuppertal, Gleichstellungsstelle, des Weiteren von Trägern und Community – letztere maßgeblich besetzt durch den Wupperpride e.V. und die Aidshilfe Wuppertal. In diesem Prozess wird das Verwaltungshandeln in den Blick genommen und eine „Roadmap“ umgesetzt, die unterschiedliche Maßnahmen zur Berücksichtigung der Interessen von älteren Lesben und Schwulen enthält.
Auch die altengerechte Quartiersentwicklung in Wuppertal, Thema beim mittlerweile 6. Fachaustausch im Frühjahr 2016, profitiert von diesen Impulsen. Parallel startete ein Gruppenprozess unter dem Titel „Immer dabei. Ältere Lesben und Schwule in Wuppertal“ mit dem Ziel, ein Zentrum für Treffen und gemeinsame Aktivitäten zu finden. Mit Erfolg: Das Nachbarschaftsheim am Platz der Republik öffnete seine Pforten für die neue Zielgruppe!
Dortmund
In Dortmund entwickelten LSBT-Akteur*innen in Zusammenarbeit mit dem Fachdienst für Senioren, der Koordinierungsstelle LST der Stadt Dortmund und der Landesfachberatung eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Stadtgespräche. Was im Alter wichtig ist“.
Ziel ist es, die Menschen dort abzuholen, wo sie leben: Seniorenberater*innen gehen aktiv auf die Community zu und informieren in allen Dortmunder Stadtbezirken über altersspezifische Themen. Angesprochen sind Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*personen und Heterosexuelle gleichermaßen. Wünschenswerterweise vernetzen sich die Besucher*innen miteinander in eben jenen Stadtvierteln, in denen die Veranstaltungen stattfinden. Ob dieser, von der Dortmunder Community moderierte Prozess dazu beitragen wird, dass ältere Lesben und Schwule sichtbarer werden im „Quartier“ und neue Orte für sich in Anspruch nehmen, kann jetzt noch nicht beurteilt werden.
Düsseldorf
In der Landeshauptstadt ist es die AWO, die schon früh auf das Thema „Vielfalt im Alter“ setzte und kontinuierlich mit der Landesfachberatung zusammenarbeitet. Mit Blick auf den Quartiersgedanken sind es hier vor allem die Aktivitäten in den zentren plus, von denen einige ihre Türen für ältere Lesben und Schwule öffnen. Zum Beispiel durch aktiv beworbene Angebote von Stammtischen und Frühstückstreffen oder mit Einzelveranstaltungen wie den „Rosa Stolperfallen“. Hier erinnerte ein Vortragender an die Verfolgung von drei Schwulen während der NS Zeit. Die AWO in Düsseldorf will auf diese Weise die Sichtbarkeit von älteren Lesben und Schwulen fördern und für die Bedürfnisse und Lebensweise der Generation 60+ sensibilisieren. Für die Landesfachberatung sind diese drei Angebote sehr pragmatische, niedrigschwellige Maßnahme im Sinne einer Quartiersentwicklungen: Die Alterszentren werden für unterschiedliche Zielgruppen geöffnet, „fremde“ Themen vermittelt und neue Kontakte ermöglicht.
Landesweit
Im Rahmen der Praxisfortbildungen des „Landesbüro Altengerechte Quartiersentwicklung NRW“ führt die Landesfachberatung Seminare für Quartiersentwickler*innen durch. Unter dem Titel „Brücken bauen“ geht es auch hier um die Entwicklung alltagstauglicher Maßnahmen, um den Diversity-Ansatz mit Leben zu füllen. Beim ersten Aufschlag im Februar 2016 war die Zahl der Teilnehmenden noch überschaubar. Im Sinne einer erfolgreichen inklusiven Quartiersentwicklung hoffen Carolina Brauckmann und Georg Roth bei der nächsten landesweiten Praxiswerkstatt am 20.1.2017.auf regen Zuspruch. (cb)
[1] LSBT ist die Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle.
[2] Queer bezeichnet als Adjektiv Handlungen oder Personen, die von der Norm abweichen. Queer ist auch ein Synonym für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle – also für alle nicht-heterosexuellen Identitäten.
Letzte Aktualisierung: 8. März 2017