Interview: „Ü65 geht online“ – Erste Schritte mit dem Smartphone

Sonja Seehrich (Forum Seniorenarbeit NRW) sprach mit Diakon Hanno Sprissler (Katholische Kirche Sülz-Klettenberg) über das Projekt „Ü65 geht online“ in Köln.

Hanno Sprissler
Hanno Sprissler, Foto: Beatrice Tomasetti

Kurzvita Hanno Sprissler

Der 52-jährige Vater von zwei Kindern arbeitete 15 Jahre als Journalist beim Kölner Stadt-Anzeiger, der Nachrichtenagentur Reuters und in einer eigenen Firma. Neben seiner journalistischen Tätigkeit absolvierte er eine siebenjährige, berufsbegleitende Ausbildung zum Diakon. Bevor er eine Stelle als hauptamtlicher, ständiger Diakon im Erzbistum Köln erhielt, verkaufte er seine Firma und leitete einen Sozialdienst. Seit knapp zehn Jahren kümmert er sich nun um die Menschen in seinen Seelsorgebereichen und hat mit dieser Aufgabe seinen „Traumberuf“ gefunden. Die Kenntnisse aus Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit sind ihm dabei eine große und nützliche Ergänzung.

Was ist das Projekt „Ü65 geht online“ und wer hat es ins Leben gerufen?

„Ü65 geht online“ heißt ein Projekt, das aus der Corona Nachbarschaftshilfe entstanden ist. Die Nachbarschaftshilfe unterstützt gefährdete Bevölkerungsgruppen, die z.B. Vorerkrankungen haben, insbesondere ältere Menschen. Bei digitalen Nachbarschaftsplattformen und in den sozialen Netzwerken gibt es zwar ähnliche Angebote, die aber viele Betroffenen nicht nutzen, weil sie eben nur analog unterwegs sind und nicht digital. Daraus entstand die Idee und hier wollten wir anknüpfen. Zusammen mit der evangelischen Gemeinde hat unser katholischer Seelsorgebereich die nötigen Strukturen geschaffen und ältere Gemeindemitglieder angeschrieben. Die Nachfrage für Einkaufshilfen oder Botengänge war allerdings geringer als die Zahl der Engagierten, die Hilfe angeboten haben. Für viele Senioren ist es ein Autonomieverlust, wenn Tagesstruktur schaffende Aktivitäten wegfallen. Engagierte haben uns rückgemeldet, dass hingegen großes Interesse an Hilfe bei der Nutzung von Smartphones und Tablets besteht.

Die Engagierten der Nachbarschaftshilfe gehören vor allem zur Altersgruppe der 20 bis 40-jährigen, also die sogenannten „digital natives“. Deshalb haben wir dort nachgefragt, wer Interesse an einer Mitarbeit beim Projekt „Ü65 geht online“ hat. Zusätzlich habe ich die städtischen Seniorennetzwerke in Sülz und Klettenberg einbezogen. Diese waren direkt begeistert und bestand das Team schließlich aus Michaela Bassiner vom evangelischen Seniorennetzwerk (SN), Finny Breitbach vom SN Sülz, Sabine Kistner-Bahr vom SN Klettenberg und ich. Wir haben uns miteinander vernetzt, Gelder akquiriert verschiedene Töpfe angezapft, um Smartphones zu kaufen. Diese stellen wir nach den Wünschen der Senioren fertig eingerichtet leihweise zur Verfügung – als Schulungsgeräte. Die Smartphones können auf Wunsch zum Einkaufspreis übernommen werden.

Was ist das Ziel des Projekts „Ü65 geht online“?

Mitmachen können nicht nur Menschen, die älter als 65 Jahre sind, sondern auch jüngere mit passendem Bedarf. In erster Linie möchten wir Senioren die Möglichkeit geben das Internet zu nutzen und darüber zu kommunizieren, da viele von ihnen allein Zuhause leben und in der Corona-Zeit auch nicht mehr so viel Besuch von ihren Familien bekommen können. Mit Videotelefonie oder Kommunikation per Messenger können sie das überwinden. Außerdem werden im Netz durch Corona viele Veranstaltungen wie Konzerte, Theater etc. übertragen, die nun auch von den älteren Menschen abgerufen werden können. Ein schöner Nebeneffekt ist auch, dass die alten Menschen mit jungen Nachbarn in Kontakt kommen und dass so das generationsübergreifende Miteinander gefördert wird.

Nehmen wir mal an, ich nehme die Perspektive einer älteren Person ein, wohin wende ich mich dann?

Wir haben das Projekt umfassend beworben, die Presse informiert, Flyer und Plakate verteilt. Unsere postalischen und telefonischen Kontaktdaten sind dort hinterlegt. Außerdem gibt es ein Kontaktformular, um uns erreichen zu können.

Gibt es Voraussetzungen, die die ältere Person zu den Treffen mitbringt?

Nein, niemand muss etwas mitbringen, außer Spaß am Lernen. Das Smartphone wird auf Wunsch gestellt, wenn kein eigenes vorhanden ist. Wir bestücken es mit einer günstigen Prepaid-Karte, die wir direkt angemeldet und freigeschaltet haben, sodass das Gerät gebrauchsfertig ist. Die engagierte Person richtet das Smartphone auf Wunsch der Älteren ein. Die Erläuterungen finden dann persönlich am Wohnort statt, allerdings virusbedingt eher im Hausflur oder an einem Treffpunkt an der frischen Luft. In öffentlichen Räumen oder draußen lässt sich gut ein Treffen planen.

Alle Smartphones werden durch Spenden finanziert?

Richtig. Die Kosten haben wir über die „Aktion Nachbarn“ des Erzbistums Köln, der Stiftung der Diakonie sowie aus Mitteln der Stadt Köln decken können.

Sind Tablets auch schon davon inbegriffen?

Nein, Tablets nicht, aber wir überlegen das Projekt im kommenden Jahr auch auf Tablets auszuweiten, weil es so gut angenommen wird. Wir haben mittlerweile schon eine Warteliste, weil wir mehr Anfragen als Engagierende und auch nicht genug Telefone haben. Aufgrund der Nachfrage planen wir eine Ausweitung nicht mehr nur mit ehrenamtlich Engagierten, sondern auch mit Honorarkräften.

Das hört sich sehr gut an. Wie läuft ein Zusammenfinden von Senior*in und engagierte*r Person ab?

Die Senioren fragen bei uns an und wir schauen dann, ob wir einen Engagierten finden, der Zeit hat und in der Nähe wohnt. Diese kündigen wir dann beim älteren Menschen an. Das schafft vorab schon ein Vertrauensverhältnis, denn viele Ältere haben Sorge vor schlechten Menschen, die ihre Lage ausnutzen. Nach der Ankündigung vereinbaren wir alles weitere.

Die Rückmeldungen sind sehr unterschiedlich: manche verstehen schnell, andere brauchen etwas länger. Die allermeisten sind allerdings sehr zufrieden und froh, dass sie jemand unterstützt. Die Engagierten sollten möglichst auch weiter für Rückfragen telefonisch erreichbar sind. Ziel ist also eine längerfristige Betreuung.

Ein*e Engagierte*r ist nur für eine ältere Person zuständig, richtig?

Ja, zunächst ist das so. Einzelne Engagierte betreuen auch zwei Interessierte gleichzeitig, aber den meisten reicht eine zu betreuende Person, da sie mit Beruf oder Studium ausgelastet sind.

Nehmen wir an, es fällt eine engagierte Person aus, kommt dann noch eine zweite engagierte Person, die die Senior*innen betreut, dazu?

Diese Situation hatten wir bislang noch nicht. Es gibt mehrere begleitende Treffen – meist zwei bis drei. Der Rest findet telefonisch statt, da ist bis jetzt noch niemand ausgefallen.

Was ist notwendig für die Teilnahme?

Eigentlich nichts! Die Älteren erhalten Leihgeräte, sofern es kein eigenes Smartphone gibt. Zwei Monate können die Geräte kostenlos genutzt werden und danach können sie diese zurückgeben und sich ein eigenes Gerät kaufen oder das genutzte Gerät für 150 Euro übernehmen. Falls dieser Betrag für einen Senior zu hoch ist, können die evangelische und katholische Kirche auf Anfrage bezuschussen. Es soll nicht an den Finanzen scheitern. Die Senioren unterschreiben eine Vereinbarung, dass das Smartphone geliehen ist und sie es übernehmen können. Das Modell ist relativ groß, leicht zu bedienen, hat eine gute Auflösung und wird als seniorenfreundliches Gerät empfohlen.

Und wenn ich jetzt eine engagierte Person bin – das würde vom Alter Ihrer Engagierenden von 20-40 Jahren ja ganz gut passen – welche Kompetenzen muss ich mitbringen und bekomme ich eine Schulung? Gibt es eine Ansprechperson, an die ich mich wenden kann? Werde ich betreut?

Kompetenzen braucht man keine besonderen, denn grundlegende Kenntnisse der Nutzung von Smartphones hat vermutlich jeder. Schulungen oder Qualifikationen sind also nicht notwendig. Wir müssen nur vor einer Vermittlung wissen, welches Betriebssystem (Android, iOs oder beide) der Engagierte beherrscht. Dann schauen wir, welches Gerät und Betriebssystem die Senioren wünschen und führen zusammen, wer zusammenpasst.

Eine der Netzwerkerinnen – oder ich – sind Ansprechperson für den Engagierten. Zum Ablauf der Treffen haben wir ein kleines Tutorial gemacht, in dem es vor allem um Hygieneregelungen geht, die eingehalten werden sollen. Wir verwenden außerdem eine Anleitung zur seniorengerechten Einrichtung eines Smartphones von der Website „netz-omi.de“. Dies bekommen die Engagierenden mit an die Hand, dazu ein Heft zum jeweiligen Betriebssystem, ebenfalls von netz-omi.de. Wir bringen die Unterlagen meist persönlich vorbei und erklären den Interessierten den Ablauf. Die Engagierten bitten wir vorab um Geduld, denn manchmal muss man etwas auch drei oder viermal erklären, bis es verstanden wird. Ich kenne das beispielsweise von meiner Mutter, sie ist jetzt 89, die drückt auf das Display, weil sie Schalter gewohnt ist – das Wischen über das Display versteht sie nicht. Diese Dinge müssen einmal verstanden sein.

Die Engagierenden erhalten von uns ein Paket. Darin befindet sich ggf. das Smartphone mit Prepaid-Karte, die Anleitung für Android oder iOS sowie das Tutorial zum Einrichten eines Smartphones, der Nutzungsvertrag, Desinfektionsmittel, mehrere Mund-Nase-Schutz-Masken und ein kleines Schokoladentäfelchen als Dankeschön gehört auch dazu.

Für organisatorische Fragen steht die individuelle Ansprechperson zur Verfügung.

Und irgendwann können wir hoffentlich auch eine Abschlussfeier als Dankeschön für die Engagierten planen.

Wie sieht der*die typische Senior*in aus, der*die Beratung in Anspruch nimmt?

Ich hatte mal eine Beratung, da kam ich mit dem Herrn nach einiger Zeit ins Philosophieren und wir sprachen über Seneca. Dieser Mann war definitiv eher gebildet. Die Gruppe der Interessierten ist allerdings in Bezug auf Bildung oder auch Geschlecht sehr heterogen. Insgesamt scheinen das aber eher die fitteren Senioren zu sein, diejenigen, die merken, dass ein Smartphone eine Bereicherung sein kann und die Offenheit haben, etwas lernen zu wollen. Das ist nicht bei allen gegeben.

In der Regel sind es jedenfalls ältere Menschen, die wenige bis gar keine digitalen Kompetenzen besitzen. Manche sagen: „Ich habe hier ein Smartphone liegen. Aber ich verstehe das nicht, ich kann damit nicht umgehen, ich brauche jemanden, der mir das erklärt.“ Andere haben noch nie ein Smartphone in der Hand gehabt. Das sind eigentlich die beiden Typen.

Verstehe. Was möchten die Senior*innen lernen? Möchten sie sich mit Videotelefonie befassen oder erstmal von Grund auf verstehen wie ein Smartphone funktioniert?

Manche haben einen Computer Zuhause und nutzen E-Mail, aber besitzen kein Smartphone. Wichtig ist den meisten die Videotelefonie mit den Angehörigen, Kindern und Enkeln, dann kommen die Messenger-Dienste. E-Mail per Smartphone und das Surfen im Internet folgen direkt danach. Die zusätzlichen Angebote in Form von Apps werden seltener nachgefragt.

Ja, verständlich in dieser Zeit!

Wie gehen Sie mit dem Projekt nach der Corona-Krise um? Gibt es Überlegungen das Projekt zu erweitern?

Die Frage ist, wie lange uns Corona noch begleitet, was ja momentan Dauerthema ist. Wir werden das Projekt auf jeden Fall weiterführen. Aber wie schon gesagt, planen wir das Ganze mit Tablets sowie Honorarkräften zu erweitern, die dann die Schulung der Senioren in Kleingruppen durchführen. Eine individuelle Schulung ist natürlich immer besser als ein Kurs mit rund 20 Teilnehmern, jedoch auch bei Kleingruppen mit zwei, drei Teilnehmenden kann auf individuelle Fragen eingegangen werden.

Also ist das eine Nachhaltigkeit, die weiter bestehen bleibt?

Im Grunde genommen haben wir die Krise als Chance genutzt, um die Engagierten anzusprechen. In der Nachbarschaftshilfe bieten 400 bis 500 Engagierte ihre Unterstützung beim Einkaufen und Botengängen an, aber dem gegenüber stehen nur rund 100 Anfragen. Wir haben also weit mehr Menschen, die helfen wollen, als Bedarf. Da liegt es nahe, die Engagierten anzufragen. Bereit erklärt haben sich leider nur 40, deswegen haben wir eine Warteliste.

Jetzt werden Sie höchstwahrscheinlich noch ein paar mehr Leute motivieren, auch wenn sich bereits einige Engagierende gemeldet haben?

Ja, wir werden sicherlich im nächsten katholischen Pfarrbrief und im evangelischen Gemeindebrief einen Aufruf starten. Wer sich für das Projekt engagieren möchte, kann das gerne tun. Die Zeitschriften werden an knapp 14000 katholische Haushalte in Sülz und Klettenberg verteilt sowie an ein paar Tausend evangelische. Wir erreichen sicherlich weit mehr als die Hälfte der Menschen in Sülz und Klettenberg. Und wenn wir das Ganze noch einmal mit einer Pressemitteilung verbinden, dann erreichen wir die meisten.

Das denke ich auch, sehr gut! Wenn Sie an bisherige Projektzeit denken, was war das Schönste oder das Überraschendste, was Sie bis jetzt gesehen haben?

Schön waren die Rückmeldungen der Engagierten, denn alle haben positiv von ihren Begleitungen berichtet, aber natürlich auch die Dankbarkeit der Senioren für die Möglichkeiten, die sie jetzt haben. Oder wenn ich plötzlich eine Messenger-Nachricht von jemandem erhalte, der vorher gar nicht auf diesem Weg erreichbar war, das freut mich auch sehr.

Das ist schön. Ein schönes Projekt!
Was würden Sie anderen mit auf dem Weg geben, die ein ähnliches Projekt aufbauen möchten?

Das meiste habe ich ja bereits gesagt, aber falls darüber hinaus Fragen bestehen, helfen wir alle gerne weiter.

Vielen herzlichen Dank für das Interview und noch viel Spaß beim Projekt!

Danke, den werden wir bestimmt haben.

Weiterführende Links und Faltblatt zum Projekt

 

Beitragsbild: Pixabay

 

Letzte Aktualisierung: 11. August 2020

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