Gemeinsam für mehr Lebensqualität – das Gesundheits- und Pflegenetzwerk Plettenberg-Herscheid stellt sich vor

Workshop 05 auf der Herbstakademie 2015

„Was hat das Sonntagsfrühstück in Plettenberg mit dem Projekt StrateGIN „Demographiesensible Versorgung im ländlichen Raum zu tun?“

Wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer beiden Workshops diese Frage nach der Herbstakademie beantworten können, haben wir, die fünf ImpulsgeberInnen des Workshops aus Plettenberg und Herscheid unser Ziel erreicht!

Gruppenbild aus dem Workshop
Teilnehmer/innen und Moderationsteam im WS 05

Nach einer Vorstellungsrunde mit einer aktiven Abfrage „Was bedeutet Lebensqualität für mich?“ stellte Christiane Wilk das südwestfälische Projekt StrateGIN „Demographiesensible Versorgung im ländlichen Raum – Innovative Strategien durch Vernetzung“ vor, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Im diesem Projekt haben sich wissenschaftliche Partner (Sozialforschungsstelle (sfs) und Institut für Gerontologie (IfG) der TU Dortmund) in enger Kooperation mit der Brancheninitiative Südwestfalen e.V. mit 15 Praxispartnern aus den Bereichen Pflege, Rehabilitation, Krankenhäuser, Gerontotechnik, Wirtschaftsförderung, Kassenärztliche Vereinigung, Kreise und Vereine gemeinsam auf den Weg gemacht. Ziel war die Entwicklung einer abgestimmten Strategie zur Stabilisierung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung in Südwestfalen, es sollte eine Roadmap entstehen. Einer der Praxispartner war der Märkische Kreis, zu dem Plettenberg und Herscheid gehören. Ausgewählte Arbeitsfelder im Projekt StrateGIN waren z.B. eine Infrastrukturanalyse aller 59 Kommunen in Südwestfalen (ganz überwiegend ländlicher Raum) und die Entwicklung eines Risikoindex zur gesundheitlichen Versorgungslage in den Kommunen. Außerdem wurden Dialoggruppen aufgebaut und ans Laufen gebracht, wie z.B. Arbeitsgestaltung und Prävention, vernetzte Versorgung, altersgerechte Assistenzsysteme für ein längeres Leben zuhause und auch Gesundheits- und Pflegenetze.    

Warum wurde das Gesundheits- und Pflegenetzwerk gerade in Plettenberg und Herscheid aufgebaut?

Metaplanwand aus dem Workshop 05
Metaplanwand aus dem Workshop 05

Dafür gab es mehrere Gründe: Der Risikoindex in Herscheid ist bereits heute überdurchschnittlich hoch (der in Plettenberg durchschnittlich). Der Märkische Kreis (MK), hier vor allem der Fachdienst Pflege, hat die Problematik schon seit längerem erkannt und Projekte mit dem Ziel entwickelt, älteren und pflegebedürftigen Menschen einen möglichst langen und selbstbestimmten Verbleib in gewohnter Umgebung zu ermöglichen. Zwischen dem Fachdienst Pflege und den beiden Kommunen Herscheid und Plettenberg gab es bereits eine gute Zusammenarbeit. Dazu hatten beiden Kommunen engagierte Bürgermeister, die sich den Herausforderungen des demographischen Wandels sehr bewusst waren.  

Bärbel Sauerland stellte das Gesundheits- und Pflegenetzwerk Plettenberg-Herscheid (GPN) vor, das beide Kommunen als Pilotprojekt zusammen mit dem Fachdienst Pflege MK wissenschaftlich begleitet vom Institut für Gerontologie an der TU Dortmund im Mai 2013 in Angriff nahmen. Von Anfang an waren weitere Kooperationspartner (Hausarztpraxis, Freiwilligenzentrale, Altenzentrum, Seniorenvertretung und Krankenhaus) mit im Boot und bildeten den Steuerkreis. Ab 2015 wurde das Projekt ohne TU Dortmund in kommunaler Regie durchgeführt.

Zur Auftaktveranstaltung im Oktober 2013, die der Steuerkreis vorbereitet und Workshopthemen anhand der Problemlagen vor Ort entwickelt hatte, kamen unerwartet viele Akteurinnen und Akteure aus Herscheid und Plettenberg. Alle verabredeten sich zur weiteren Zusammenarbeit im GPN. Die drei Workshopthemen „Zufrieden zu Hause – gegen Einsamkeit und Isolation im Alter“, „Begleiten beim Vergessen – Angebote zur Demenzersorgung“ und „Brücken nach Hause – Schnittstellen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung“ sollten an Runden Tischen vertieft werden.

Diagramm aus dem Workshop

Alle drei Runden Tische arbeiteten ähnlich: Von Ende 2013 bis zum Sommer 2014 fanden 3 – 4 Treffen statt. Teilweise wurden Unterarbeitsgruppen installiert. Bei den Sitzungen lernten sich die AkteurInnen zunächst kennen und verabredeten Rahmenbedingungen und Regeln. In jedem Bereich wurde eine Ist-Analyse „Was gibt es schon, was läuft gut?“ erarbeitet. Anschließend wurde die Soll-Analyse aufgestellt „Was fehlt, was wäre noch zu verbessern“. Daraus wurden die Handlungsempfehlungen für jeden Runden Tisch erarbeitet. Ein Arbeitsergebnis, das bei jedem Runden Tisch auftauchte, war, dass es bereits viele Angebote vor Ort gibt, die aber noch nicht einmal allen AkteurInnen im Gesundheits- und Pflegebereich geschweige denn der Bevölkerung bekannt sind. Daher kam früh der Wunsch auf, einen gemeinsamen Wegweiser zur erstellen, um die vorhanden Informationen zu bündeln und mehr Transparenz herzustellen.

Um die Rahmenbedingungen des GPN, die Finanzierung, die Öffentlichkeitsarbeit und die Erstellung des Wegweisers kümmerte sich der Steuerkreis, teilweise in Kleingruppen. Für das Logo-Design, einen ersten Flyer und die Herausgabe des Wegweisers wurde die Agentur Twinners beauftragt, die uns ganz hervorragend beraten hat. Der Wegweiser wurde bei einer Veranstaltung im Oktober 2014 herausgegeben, er wurde sehr gut angenommen und ist inzwischen fast vergriffen.

GruppenbildNach diesen ersten eher theoretischen Inputs stellte Silke Corswandt die Arbeit des Runden Tisches 1 „Zufrieden zu Hause – gegen Einsamkeit und Isolation im Alter“ vor. Folgende Ziele wurden definiert: Erhalt bzw. Erhöhung der Lebensqualität für ältere Menschen durch Teilhabe an der Gesellschaft und ein möglichst langer Verbleib in der eigenen Wohnung. Beispielhaft wurden folgende Handlungsempfehlungen vorgestellt: Ausweitung des Projekts „Wohl zu Hause“, Beschäftigung mit dem Thema Mobilität und Schaffung von mehr Angeboten am Wochenende und für immobile Menschen.

Hartmut Damschen erläuterte die Hauptthemen des Runden Tisches 2 „Begleiten beim Vergessen – Angebote zur Demenzversorgung“. Für die Mitglieder dieses Runden Tisches war vor allem die Öffentlichkeitsarbeit wichtig, um das Thema Demenz zu enttabuisieren. Außerdem sollten weitere Angebote für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen entwickelt werden. Eine Kleingruppe hat die ersten Demenz-Aktionswochen, die mit verschiedenen Angeboten von April – September 2015 in Herscheid und Plettenberg durchgeführt wurden, intensiv vorbereitet. Bei der Abschlussveranstaltung am 30.09.2015 wurde der bisherige Runde Tisch in das Demenz-Netzwerk Plettenberg-Herscheid übergeleitet. Ab Anfang September 2015 sind wir als interkommunales Netzwerk Teil der Lokalen Allianz für Menschen mit Demenz und bekommen für die nächsten beiden Jahre Fördermittel des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Damit soll die Hilfenetzwerke vor Ort weiter ausgebaut werden, und Herscheid und Plettenberg sollen sich zu demenzfreundlichen Kommunen weiter entwickeln.

Nur ganz kurz ging Christiane Wilk auf die Arbeit des Rundes Tisches 3 „Brücken bauen – Schnittstellen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung“ ein. Hier gründeten sich die Arbeitsgruppen „Diabetologische Versorgung“, „Pharmazie“ und „Überleitungsmanagement am Plettenberger Krankenhaus“ und verabredeten z.B. verbesserte Formen der Zusammenarbeit oder entwickelten gemeinsame Produkte wie einen Medikamentenplan.

 

Welche Faktoren waren für den Erfolg des Gesundheits- und Pflegenetzwerk Plettenberg-Herscheid wichtig? Christiane Wilk betonte vor allem die wissenschaftliche Begleitung und die Moderation des Steuerkreises und der Runden Tische (diese im Tandem mit VertreterInnen der Kommunen) durch Dr. Vera Gerling und Anja Gieseking von der TU Dortmund. Ganz entscheidend war auch, dass bei allen Beteiligten die Chemie stimmte! Die Idee des Aufbaus eines Gesundheits- und Pflegenetzes fiel von Anfang an auf fruchtbaren Boden. Nicht nur die professionellen Dienste, sondern auch ehrenamtlichen Selbsthilfegruppen, Seniorenvertretung, Sportvereine usw. beteiligten sich an den Runden Tischen und Veranstaltungen und steuerten ihr Know-how bei. Das persönliche Kennenlernen untereinander und die Intensivierung der Zusammenarbeit jenseits des bestehenden Wettbewerbs wurden sehr begrüßt. Wir als Verantwortliche waren überrascht vom offenen, ehrlichen Umgang miteinander. Wichtig war auch, dass bei den Arbeitssitzungen genügend Zeit für den gewünschten informellen Austausch gegeben wurde und dass die Sitzungen an unterschiedlichen Orten stattfanden, wobei sich die gastgebende Institution vorstellte. So erhielten alle Einblick in oft noch fremde Arbeitsbereiche. Auch das gemeinsame Arbeitsergebnis und die Erarbeitung der Handlungsempfehlungen und kleineren konkreten Projekten zwischendurch war hilfreich.

Die Schwierigkeiten wurden ebenfalls benannt, z.B. dass Handlungsempfehlungen wegen fehlender Finanzierung nicht umgesetzt werden konnten, dass die Aufgabenverteilung nach Rückzug der Kolleginnen der TU Dortmund neu geregelt werden musste und die Kommunen personelle Ressourcen bereit stellen mussten. Die Ärzteschaft war zu wenig an den Runden Tischen vertreten und ab und zu tauchten Befindlichkeiten aufgrund bestehender Konkurrenz unter Anbietern auf.

Um das eher abstrakte Gesundheits- und Pflegenetzwerk anschaulicher zu machen, wurden drei Praxisbeispiele vorgestellt:

Giesela Werda erläuterte ein Praxisbeispiel des Runden Tisches 1, das gemeinsame Sonntagsfrühstück. Die Mitglieder suchten nach Möglichkeiten für Treffpunkte am Wochenende für ältere alleinlebende Menschen. Glücklicher Zufall war, dass ein Café in der Stadtmitte mit einem Schnupperangebot zu sehr günstigen Preisen ein Frühstücksbuffet ans Laufen bringen wollte. Diese Chance nutzten Giesela Werda und die Demographiebeauftragte mit dem Cafébetreiber, um das gemeinsame Sonntagsfrühstück ab März 2015 anzubieten. Das Besondere daran ist, dass keine Organisation beauftragt werden und kein Raum gemietet werden muss, sondern das bestehende Angebot wird genutzt und besonders für ältere und einsame Menschen beworben, z.B. auch auf der wöchentliche erscheinenden Seniorenseite in der Tageszeitung, per Flyer usw. Am Sonntagsfrühstück nehmen mehrere Mitglieder der Seniorenvertretung teil, die sich um die älteren Menschen kümmern. Nicht mehr so mobile Menschen können einen Fahrdienst in Anspruch nehmen. Das Angebot wurde erst sehr gut angenommen, die Resonanz ließ mit der Erhöhung der Preise nach, aber das Sonntagsfrühstück hat sich etabliert und wird einmal im Moment angeboten. Und natürlich wird nicht nur gefrühstückt, sondern geredet und gelacht, es werden neue Kontakt geknüpft und sich zu weiteren Unternehmungen verabredet.

Silke Corswandt berichtete vom seniorenunterstützenden Projekt der Freiwilligenzentrale „Wohl zu Hause“, hier haben die Mitglieder des Runden Tisches „Zufrieden zu Hause – gegen Einsamkeit und Isolation im Alter“ den Projektausbau empfohlen, weil in diesem Projekt die Ziele des Runden Tisches sehr gut umgesetzt werden (Das Projekt wäre einen eigenen Workshop wert!).

Ein möglichst langer Verbleib in der eigenen Wohnung, Mobilität, Versorgung und Teilhabe an der Gesellschaft sind die Ziele des Projekts. Dazu dienen Maßnahmen zur Unterstützung im Alltag wie Fahrdienste, Einkaufs- und Besuchsdienste, Begleitung bei Arztbesuchen, Hilfe bei Anträgen und auch die Förderung der Teilnahme an Veranstaltungen. Die älteren Menschen, die diesen Dienst in Anspruch nehmen, zahlen 20 € im Monat und Kilometergeld für Fahrten. Das Projekt wird hauptamtlich koordiniert und durch Ehrenamtliche umgesetzt. Für 2016 ist die Ausweitung des Projekts vorgesehen.

Bärbel Sauerland erläuterte die altengerechte Quartiersentwicklung in Herscheid.

Die Gemeinde Herscheid hat sich um Fördermittel aus dem Masterplan Altengerechte Quartiere beworden, diese Bewerbung resultierte aus der Teilnahme am Projekt StrateGIN und des gewonnenen Know-hows aus dem Gesundheits- und Pflegenetzwerk. Nach der Förderzusage konnte für drei Jahre von 2015 – 2018 eine Quartiersmanagerin eingestellt werden. Quartier ist in diesem Fall der gesamte Ort Herscheid. Nach einer Analyse der Ausgangslage (Demographie, Mobilität, Angebote, Gemeindeentwicklungskonzept) werden neue Impulse gesetzt und vorhandene Initiativen begleitet, unterstützt und vernetzt. Neue Konzept zum Wohnen im Alter sollen ebenso wie Möglichkeiten einer barrierearmen Mobilität entwickelt werden. Auch hier ist der Ausbau und Aufbau weiterer Angebote für einsame Menschen geplant.

Bereits während des Inputs wurden Fragen gestellt und lebhaft diskutiert, so dass für den Austausch leider wenig Zeit blieb. Einigkeit herrscht bei den TeilnehmerInnen darüber, dass die Themen, mit denen sie „Lebensqualität“ verbinden, im Gesundheits-und Pflegenetzwerk größtenteils bearbeitet werden.

Der angebotene Fahrdienst im Projekt „Wohl zu Hause“ wurde als sehr gute Möglichkeit lobend hervorgehoben. Uns ImpulsgeberInnen wurde erst während der Diskussion bewusst, dass unsere Möglichkeiten bei der Öffentlichkeitsarbeit, z.B. durch eine wöchentlich erscheinende Seniorenseite in der Tageszeitung „Süderländer Tagesblatt“ oder die wohlwollende Begleitung des Projekts durch die Presse längst nicht selbstverständlich ist. Ein besonders schönes Feedback bekamen wir von einer Teilnehmerin, die sagte „ ich möchte gerne in Plettenberg alt werden!“.

Weitergehende Informationen, wie die Roadmap und das Memorandum des Projekts StrageGIN und den Wegweiser „Gut informiert älter werden in Herscheid und Plettenberg“ können bei der Autorin angefordert werden.

ImpulsgeberInnen im Workshop:

Impulsgeber/innen
Von links nach rechts: Giesela Werda, Hartmut Damschen, Silke Corswandt, Barbara Sauerland, Christiane Wilk

 

Christiane Wilk, Demographiebeauftragte Stadt Plettenberg (Kontaktdaten siehe unten)

Bärbel Sauerland, Fachdienstleiterin Sozial- und Ordnungsverwaltung Gemeinde Herscheid,
Plettenberger Str. 27, 58849 Herscheid, Tel.: 02357/909336,
Email: sauerland@herscheid.de

Silke Corswandt, Mitarbeiterin der Freiwilligenzentrale des Diakonisches Werk Lüdenscheid-Plettenberg, Bahnhofstr. 25 – 27, 58840 Plettenberg, Tel.: 02391/954039,
Email: s.corswandt@diakonie-plbg.de

Giesela Werda, Seniorenvertretung Plettenberg, Tel: 02391/10686, Email: kwwerda@t-online.de

Hartmut Damschen, ehrenamtlicher Senior-Berater, Tel.: 02391/70403, Email: hartmut.damschen@t-online.de

Zur Autorin:

Christiane Wilk ist Diplom-Verwaltungswirtin und seit 1980 bei der Stadt Plettenberg überwiegend mit Querschnittsaufgaben betraut. Die Stadt Plettenberg ist relativ stark von den Auswirkungen des Demographischen Wandels „Weniger – Älter – Bunter“ betroffen. Daher wurde bereits 2007 die Stelle der Demographiebeauftragten eingerichtet. Plettenberg hat sich mit Hilfe der Bertelsmann Stiftung auf den Weg gemacht, um ein Leitbild, eine Strategie und Handlungsfelder zu entwickeln. Demographiebeauftragte Christiane Wilk koordiniert die Fragestellungen rund um den Demographischen Wandel. Zurzeit arbeitet Plettenberg unterschiedlich intensiv jeweils mit Arbeitsgruppen, die vielfältig besetzt sind, in folgenden Handlungsfeldern:

Kontakt:
Demographiebeauftragte der Stadt Plettenberg
Grünestr. 12, 58840 Plettenberg
Tel.: 02391/923114, Email: c.wilk@plettenberg.de

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